Die Entlastung in der AG

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 Juergen Kittel
Juergen Kittel

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Regelmäßig stellen sich Aktionäre und Organmitglieder vor den Hauptversammlungen, die Frage, was eine Entlastung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder bewirkt.

Viele Aktionäre befürchten, dass, wenn sie für die Entlastung stimmen, die Gesellschaft auf Ersatzansprüche gegen die Organmitglieder verzichtet oder gar sie selbst durch ihr Stimmverhalten haftbar werden.
Das Aktiengesetz sieht vor, dass die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft mittels Beschluss über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats und Vorstands für das vorangegangene Geschäftsjahr zu entscheiden hat. Wird einem Organmitglied die Entlastung erteilt, so wird damit grundsätzlich die Arbeit dieses Organmitglieds in der Vergangenheit gebilligt und das Vertrauen für die Zukunft bezeugt. Fraglich ist hingegen, ob damit auch auf Schadenersatzansprüche gegen das entlastete Organmitglied verzichtet wird.

Entscheidungsfreiheit

Die Aktionäre können frei entscheiden, ob sie der Entlastung (trotz etwaiger Pflichtverstöße von Organmitgliedern) zustimmen oder nicht. Nur bei erheblichen Verstößen gegen Gesetze oder im Fall von kriminellen Handlungen der Organmitglieder kann es unter Umständen die Möglichkeit einer Anfechtung des Entlastungsbeschlusses wegen Gesetzwidrigkeit geben. Die Organmitglieder der Gesellschaft haben jedenfalls keinen klagbaren Anspruch auf Entlastung. Grundsätzlich trifft Aktionäre keine Schadenersatzpflicht für ihre Stimmausübung; dies nach geltendem Recht nicht einmal dann, wenn sie durch die Stimmausübung „gesellschaftsfremde Sondervorteile“ verfolgen. Bei sittenwidrigem Stimmrechtsmissbrauch können jedoch nach dem allgemeinen Zivilrecht Schadenersatzansprüche der Geschädigten gegeben sein.

Stimmrecht

Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, die gleichzeitig Aktionäre sind, dürfen nicht über ihre eigene Entlastung abstimmen. Dies gilt sowohl bei Einzelabstimmung (wenn über jedes Mitglied einzeln bzw. namentlich abgestimmt wird) als auch bei gemeinsamer Abstimmung, wenn einmal für den Vorstand und einmal für den Aufsichtsrat abgestimmt wird. Die Organmitglieder dürfen jedoch im Rahmen der Einzelabstimmung für ihre Kollegen mitstimmen.

Entlastungswirkung

Von der Praxisseite her betrachtet, ist es eigentlich nur relevant bei nicht-börsenotierten Aktiengesellschaften
Kittel: „Von der Praxisseite her betrachtet, ist es eigentlich nur relevant bei nicht-börsenotierten Aktiengesellschaften“

In Österreich ist die Wirkung der Entlastung, anders als in Deutschland, nicht gesetzlich geregelt. Nach der aktuellen Rechtsprechung führt die Entlastung nicht automatisch zum Verzicht auf Schadenersatz- ansprüche gegen das entlastete Organmitglied. Die Entlastung ist grundsätzlich nur als Billigung der Geschäftsführung bzw. als Ausdruck des Vertrauens in diese zu betrachten. Anderes gilt nach der Rechtsprechung, wenn alle Aktionäre die Entlastung beschließen; d.h. es müssten Repräsentanten für 100% der Aktien in der Hauptversammlung anwesend oder vertreten sein und für die Entlastung stimmen. In diesem Fall geht der OGH davon aus, dass es zu einer Verzichtswirkung (Präklusion) der Gesellschaft auf Ersatzansprüche gegen die entlasteten Organmitglieder kommt. Der Entlastungsbeschluss entfaltet zugunsten der entlasteten Organmitglieder somit eine haftungsbefreiende Wirkung.

Ein Teil der Lehre spricht sich jedoch gegen eine Verzichtswirkung der Entlastung vor Ablauf der fünfjährigen Sperrfrist für den Verzicht auf Ersatzansprüche aus. Jedenfalls kann es immer nur für solche Ersatzansprüche zu einer Verzichtswirkung kommen, die den Aktionären nach sorgfältiger Prüfung aller ihnen zugänglichen Unterlagen und erstatteten Berichte auch erkennbar waren.

Relevanz

Viele nicht-börsenotierte Aktiengesellschaften (insbesondere „Familien-Aktiengesellschaften“) haben eine „geschlossene“ Eigentümerstruktur. Bei diesen ist die Anwesenheit sämtlicher Aktionäre in der Hauptversammlung wesentlich wahrscheinlicher und daher auch eine Zustimmung von 100% für die Entlastung überhaupt möglich.
Bei nicht-börsenotierten Aktiengesellschaften kann es daher in der Praxis realistischerweise wesentlich häufiger zu einer Verzichtswirkung der Entlastung kommen. Bei börsenotierten AGs hingegen stellt sich die Frage nach einem Verzicht durch die Entlastung in der Praxis kaum, weil es aufgrund des Streubesitzes faktisch unmöglich ist, dass alle Aktionäre bei der Hauptversammlung anwesend oder vertreten sind und der Entlastung zustimmen.

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Foto: beigestellt

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