Doppelresidenz – geteilte Obsorge von getrennten Eltern – Ein Faktencheck

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Clemens Gärner im Interview

Der Wiener Rechtsanwalt Dr. Clemens Gärner ist Experte für Familienrecht. Im Gespräch mit wirtschaftsanwälte.at erläutert er ein Thema das auch viele Selbstständige in ihrem Arbeitsumfeld betrifft.

Viele Eltern möchten nach einer Trennung die Kinder gleichteilig betreuen, so dass die Kinder faktisch gleichermaßen bei ihnen wohnen. Eine etwa gleichteilige Betreuung lag ursprünglich dann vor, wenn kein Elternteil mindestens zwei Drittel der Betreuung durchführte. Davon rückte die Rechtsprechung jedoch in weiterer Folge ab. Besteht nun z.B. eine Relation von 209 zu 156 Betreuungstagen, somit etwa ein Verhältnis von 4 zu 3, liegt noch annähernd eine gleichteilige Betreuung vor.

Wann besteht ein Unterhaltsanspruch?
Gärner: Bei gleichwertigen Betreuungsleistungen besteht kein Geldunterhaltsanspruch, wenn das Einkommen der Eltern etwa gleich hoch ist bzw beide über ein Einkommen verfügen, das jeweils zu über der Luxusgrenze liegenden Geldunterhaltsansprüchen des Kindes führen würde. Ein annähernd gleich hohes Einkommen ist aber auch dann gegeben, wenn das Einkommen eines Elternteils das des anderen nicht beträchtlich übersteigt, wobei Unterschiede bis zu einem Drittel hinzunehmen sind. Andernfalls steht dem Kind ein Restgeldunterhaltsanspruch gegen den leistungsfähigeren Elternteil zu, der das unterschiedliche Betreuungsverhältnis bzw den geringeren Lebensstandard, an dem das Kind beim andern Elternteil partizipieren kann, ausgleicht.

Was gilt es sonst noch zu beachten?
Gärner: Außerdem ist beim Modell der Doppelresidenz zu beachten, dass der besserverdienende Elternteil einen dem Unterschied der jeweiligen Einkommen Rechnung tragenden Ausgleich für „längerlebige Anschaffungen“ (das sind bspw. Kindergarten- oder Hortkosten, Winterbekleidung, angemessene Sportausrüstung, Nachhilfekosten, Sonderbedarf usw.) des Kindes tragen muss. In der Praxis ist das häufig die Hälfte, kann aber bei großen Einkommensunterschieden auch wesentlich mehr sein. Verdient bspw. der Vater 5x so viel wie die Mutter, so hat er sich mit 5/6 an diesen Anschaffungen zu beteiligen.

Was ist wirtschaftlich sinnvoller?
Aus (wirtschaftlicher) Sicht des besserverdienenden Elternteils ist die Prüfung berechtigt, ob nicht eine Betreuung über das übliche Ausmaß, nicht jedoch als Doppelresidenz, angebrachter wäre. Teilen sich nämlich die Eltern die Betreuung in einem Ausmaß, das über den Rahmen der üblichen persönlichen Kontakte des Elternteils hinausgeht, bei dem sich das Kind nicht hauptsächlich aufhält, ist der zu leistende Geldunterhalt zu reduzieren, wenn der Unterhaltspflichtige – über ein übliches Kontaktrecht hinaus – Betreuungsleistungen erbringt. Es kommt dann regelmäßig zu einem prozentmäßigen Abschlag von -10% pro wöchentlichem Betreuungstag, der über das übliche Ausmaß hinausgeht. (Der üblichen Dauer entspricht ein Wochenendkontakt in 14-tägigem Abstand zuzüglich eines Ferienbesuchsrechts von vier Wochen, also eine Betreuung in einem jährlichen Ausmaß von rund 80 Tagen.)

Bemerkenswert ist, dass bei Unterhaltsleistungen im Rahmen der üblichen Prozentwertmethode – also nicht in Form der Doppelresidenz – mit Zahlung des Geldunterhalts der Anspruch grundsätzlich erledigt ist (ausgenommen Sonderbedarf). Es kommt also nicht zu einer Beteiligung für längerlebige Anschaffungen.

Im Einzelfall ist zu prüfen, ob der Leistung von (nur) Geldunterhalt bei auch über das übliche Ausmaß hinausgehende Betreuungsleitungen nicht (wirtschaftlich) der Vorzug zu geben ist, als das derzeit beliebte Modell der Doppelresidenz unreflektiert zu vereinbaren.

Welcher Wohnort gilt gegenüber den Behörden?
Auch bei Doppelresidenz muss ein sogenannter Wohnsitz der hauptsächlichen Betreuung festgelegt werden, der wichtige formale Ansatzpunkte hat, wie zum Beispiel Bezug der Familienbeihilfe oder Wohnbeihilfe. Die alleinige Bestimmung des Wohnortes des Minderjährigen im In- und Ausland ist bei vereinbarter Doppelresidenz nicht möglich, sondern erfordert das Einvernehmen mit dem anderen Elternteil oder eine gerichtliche Genehmigung.

Ihr Fazit?
Eine genaue Analyse der jeweiligen persönlichen Situation im Hinblick auf praktische Betreuung und wirtschaftliche Auswirkungen ist jedenfalls zu empfehlen und schafft Optimierungsmöglichkeiten, die jeder nutzen kann, wenn es gewünscht ist.

www.gaerner-perl.at
Foto / Redaktion: Walter J. Sieberer

Kein Treffer.

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