Neue Verfahrensart beschert Auftraggebern neue Chancen

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Mag. Manfred Essletzbichler
Mag. Manfred Essletzbichler

Auch wenn die neue Verfahrensart der „Direktvergabe mit vorheriger Bekanntmachung“ (DVmB) bereits seit Inkrafttreten der letzten Novelle zum Bundesvergabegesetz (BVergG) im April 2012 existiert, mag sie vielen öffentlichen Auftraggebern dennoch als Geschenk erscheinen.

Hintergrund der Einführung dieser Verfahrensart war das Bestreben, öffentlichen Auftraggebern eine möglichst formfreies Verfahren an die Hand zu geben. Nach Ansicht der beiden Spezialisten Mag. Essletzbichler und Mag. Lauchner ist der Gesetzgeber hier über das Ziel hinausgeschossen. Die unregulierten Freiräume dürften auch den potentiellen Anwendern (Auftraggebern) nicht verborgen geblieben sein; diese zeigen sich jedoch – wie die bisherige zurückhaltende Nutzung des Instruments beweist – verunsichert.

Zulässig ist die Wahl der DVmB bis zu einem Auftragswert von EUR 130.000 bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen (im Sektorenbereich EUR 200.000) bzw bis EUR 500.000 bei Bauaufträgen. Der gesetzlichen Definition zufolge kann bei der DVmB nach der Bekanntmachung des Auftrags und der „Einholung von einem oder mehreren Angeboten, eine Leistung formfrei von einem ausgewählten Unternehmer gegen Entgelt bezogen“ werden. Die Bekanntmachung hat dabei (zwingend) nur die Bezeichnung des Auftraggebers, den Leistungsgegenstand (inklusive Erfüllungsort und Leistungsfrist) sowie einen Hinweis, wo nähere Informationen über die Leistung und den weiteren Verfahrensablauf verfügbar sind, zu enthalten („zwingende Bekanntmachungsinhalte“).

Tatsächlich ist schon die Bezeichnung als „Direktvergabe“ irreführend. Der Auftrag kann – anders als bei einer „normalen“ Direktvergabe – gerade nicht direkt an einen bestimmten Unternehmer vergeben werden. Vielmehr haben alle Interessenten die Möglichkeit, die ausschreibungsrelevanten Informationen zu beziehen. Zudem müssen Auftraggeber nach Zuschlagserteilung allen interessierten Unternehmen den Zuschlagsempfänger und den „Zuschlagspreis“ unverzüglich mitteilen (es handelt sich dabei jedoch um keine Zuschlagsentscheidung iSd BVergG, weshalb keine Stillhaltefrist einzuhalten ist).

Der „Clou“ an der Verfahrensart ist aber, dass (abgesehen von der Wahl der Verfahrensart) ausschließlich die Bekanntmachung und die zwingenden Bekanntmachungsinhalte mittels Nachprüfungsantrag (Antrag auf Nichtigerklärung) anfechtbar sind. Zwar muss der Auftraggeber objektive, nicht diskriminierende und mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende „Selektionskriterien“ festlegen. Diese Kriterien sind aber nicht in der Bekanntmachung selbst anzugeben (sondern etwa nur die Internetadresse, wo die Kriterien abrufbar sind). Die „Selektionskriterien“ entsprechen auch nicht den im BVergG geregelten Eignungs-, Auswahl- oder Zuschlagskriterien und unterliegen somit nicht den entsprechenden (strengen) Anforderungen. Sie können unternehmens- oder auftragsbezogen, aber auch eine Mischung aus beidem sein. Der Auftraggeber genießt bei ihrer Festlegung große Freiräume; so wäre es zulässig, den Zuschlag auf den „Median-Preis“ (den „mittelteuren“ Preis) der eingegangen Angebote zu erteilen (bei Vergaben von Bauaufträgen nach dem Billigstbieter-Prinzip interessant, um Nachträge/Claiming hintanzuhalten). Ebenso könnte der bestgeeignete Kandidat (etwa mit dem erfahrensten Schlüsselpersonal oder dem höchsten spartenspezifischen Umsatz) den Zuschlag erhalten.

Weiters können Auftraggeber das Verfahren bzw dessen Ablauf frei gestalten. Es ist etwa möglich, ein einstufiges Verfahren mit Verhandlungen zu konzipieren oder festzulegen, dem schnellsten Unternehmer (der das erste Angebot legt) den Zuschlag zu erteilen (first-come-first-serve-Prinzip). Genauso könnten die ersten drei Unternehmer, die ein Angebot legen, ausgewählt und zu weiteren Preisverhandlungsrunden eingeladen werden.banner_jusportal_klein

Die große Freiheit in der Verfahrensstrukturierung beinhaltet auch die freie Festlegung von Fristen. Die Möglichkeit, dringliche (Einzel-)Aufträge auf diesem Wege zu vergeben, liegt somit auf der Hand. Das wirklich große Potenzial der DVmB eröffnet sich jedoch erst im Zusammenspiel mit den so genannten „Losregeln“. Diese Bestimmungen des BVergG erlauben es, bei der Vergabe eines in Lose unterteilten Gesamtauftrages (zB nach Gewerken), einzelne Lose privilegiert zu vergeben: Erfüllen die Lose die gesetzlichen Anforderungen, können sie unter Zugrundelegung des jeweiligen Einzel-Los-Auftragswertes vergeben werden. Ein Bauauftrag, dessen Auftragswert unter dem Schwellenwert von EUR 5 Millionen liegt und in zehn Lose aufgeteilt werden kann (die wiederum einen Einzel-Loswert von unter EUR 500.000 aufweisen), darf somit zur Gänze im Wege der DVmB vergeben werden. Das Verbot, Aufträge aufzuteilen, um die Anwendung der Vorschriften des BVergG zu umgehen („Auftragssplitten“), gilt jedoch auch für die DVmB. Es ist Auftraggebern daher verboten, Aufträge ohne sachliche Rechtfertigung getrennt zu vergeben, nur um in den Genuss der Anwendung der DVmB zu kommen.
Solange sich ein Auftraggeber aber an die Berechnungsregeln und die Selektionskriterien hält, ist er vor Anfechtungen von Bietern sicher: Die in der Ausschreibungsunterlage festgelegten Selektionskriterien können – wie oben erwähnt – vor der Auftragsvergabe gar nicht mittels Nachprüfungsantrag angefochten werden. Ausschreibungsbedingungen (wie insbesondere Selektionskriterien) heilen aber im Falle der Nicht-Anfechtung vor Zuschlagserteilung. Zwar können übergangene Bieter binnen sechs Wochen nach Auftragsvergabe (Zuschlagserteilung) einen Feststellungsantrag einbringen; dabei wird aber nur die Einhaltung der (mangels Anfechtung in jedem Fall geheilten) Bedingungen der Ausschreibungsunterlagen beurteilt. Hält sich ein Auftraggeber bei der Auswahl des Zuschlagsempfängers jedoch an die festgelegten (diskriminierenden) Kriterien, ist er vor einer (erfolgreichen) Anfechtung geschützt.

Werden Abweichungen vom festgelegten Verfahrensablauf sowie von den anzuwendenden Selektionskriterien nach Zuschlagserteilung (Vertragsschluss) via Feststellungsantrag releviert, bleibt der Vergabekontrollbehörde in der Regel nur die (zahnlose) Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit des Auftraggeberverhaltens festzustellen. Eine Nichtigerklärung des rechtswidrig geschlossenen Vertrags kommt lediglich dann in Betracht, wenn etwas anderes als in der Bekanntmachung veröffentlicht (ein „aliud“) beschafft wird.

Ob es aber wirklich sinnhaft ist, in Ausnutzung des Rechtsschutzdefizites ganz besonders „kreative“ (diskriminierende) Selektionskriterien zu entwickeln, steht auf einem anderen Blatt. Selbst wenn ein Vorgehen mit den Mitteln des BVergG nicht bekämpfbar ist, so bedeutet dies nicht, dass sämtliche Haushaltsgrundsätze über Bord geworfen werden können. Insbesondere nachgeordnete Kontrollinstitutionen wie der Rechnungshof oder etwa das Wiener Kontrollamt beurteilen die Nachvollziehbarkeit von Vergabeentscheidungen kritisch. Auch interne Kontrollinstanzen (wie interne Revision oder Compliance-Beauftragte) sollten nicht übersehen werden. Darüber hinaus ist abzuwarten, ob die aktuellen Regelungen betreffend den Rechtsschutz bei der DVmB dem verfassungs- und europarechtlichen Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes genügen.

Was für Bieter ein nicht unbeachtliches Rechtsschutzdefizit darstellt, räumt Auftraggebern die Möglichkeit einer raschen und unbürokratischen Auftragsvergabe ein. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Nutzung dieses neuen Instruments in Zukunft verstärkt.

Mag. Manfred Essletzbichler

Mag. Wolfgang Lauchner

 

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