Österreichische Regeln zur Ausübung des Notarberufs eu-widrig?

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Nach Ansicht von Generalanwalt Cruz Villalón verstoßen Österreich, Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg und Griechenland gegen ihre Verpflichtungen aus dem Vertrag, indem sie den Zugang zum Beruf des Notars auf die eigenen Staatsangehörigen beschränken (für Österreich siehe § 6 Abs 1 Z 1 Notariatsordnung). In den genannten Staaten besteht eine Hauptaufgabe des Notars in der Beurkundung von Rechtsakten. Der Notar, der auf Ersuchen einer Partei tätig wird, nimmt im Rahmen der Beurkundung eine Prüfung der Rechtmäßigkeit der zu errichtenden verbindlichen Urkunde vor, nachdem er festgestellt hat, dass die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Parteien und alle für die Beurkundung erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind.

Nach den unionsrechtlichen Regeln sind Tätigkeiten, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgeschlossen. Weiters sieht die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vor, dass das von ihr geschaffene Anerkennungssystem diesen Ausschluss nicht berührt, und zwar auch in Bezug auf Notare. Nach Ansicht des Generalanwalts sind vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit aber nur jene Tätigkeiten ausgeschlossen, die eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen Dem Beruf als Ganzem kann der Ausschluss von der Niederlassungsfreiheit nur dann zugute kommen, wenn sich die Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt nicht von den übrigen Tätigkeiten trennen lassen.

Der Generalanwalt weist ferner darauf hin, dass der Umstand, dass eine Tätigkeit vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgenommen ist, die Mitgliedstaaten nicht von der Einhaltung des Unionsrechts befreit. Die Staatsangehörigkeit als Erfordernis für den Zugang zu einer Tätigkeit stellt einen schweren Eingriff in die Sphäre des Unionsbürgers dar, der nur nach einer strengen Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit zulässig wäre. Keine der Garantien und Besonderheiten des Notarberufs – auch nicht die Teilnahme des Notarberufs an der Ausübung öffentlicher Gewalt – könne aber eine so schwerwiegende und drastische Maßnahme rechtfertigen wie eine unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Eine solche Regelung sei unverhältnismäßig.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der EuGH der Ansicht des Generalanwalts anschließen wird, ist sehr hoch. Dann darf in Österreich der Zugang zum Beruf des Notars nicht mehr auf die eigenen Staatsangehörigen beschränkt werden.

Rechtsanwalt Dr. Clemens Lintschinger

www.ra-lintschinger.at

Foto, Redaktion: Walter J. Sieberer

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