Nachdem der Verfassungsgerichtshof wesentliche Teile der Corona-Maßnahmen für rechtswidrig befunden hat, zeigt Gesundheitsminister Anschober späte Einsicht.
Er wolle nichts entschuldigen, unter dem Zeitdruck seien Fehler gemacht worden. Das ist nachvollziehbar, aber nur ein Teil der Wahrheit. Denn Juristen haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Umsetzung der Maßnahmen zum Teil grob mangelhaft war. Die lauten Zurufe von Experten wurden als „juristische Spitzfindigkeiten“ abgetan, nachjustiert wurde nicht. Stattdessen wurden unzählige rechtswidrige Strafen verhängt. Wer trägt dafür die Verantwortung und welche Folgen kommen auf den Steuerzahler zu?
Die Bundesregierung hat effektive Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie gesetzt. Wir alle haben dadurch teils gravierende Einschränkungen erlebt und diese weithin als erforderlich akzeptiert. Die Erfolgsbilanz wird nun aber getrübt, denn der VfGH hat wesentliche Teile der Corona-Maßnahmen als gesetzwidrig erkannt.
Rechtswidrige Ausgangsbeschränkungen. Das allgemeine Betretungsverbot für öffentliche Orte war unzulässig. Der Gesundheitsminister hat seine Ermächtigung nach dem ersten COVID-Maßnahmengesetz überschritten. Dieses hatte vorgesehen, dass das Betreten von bestimmten Orten untersagt werden kann. Die Verordnung hat aber stattdessen gleich den gesamten öffentlichen Raum zur verbotenen Zone erklärt. Die Ausnahme wurde unzulässigerweise zur Regel gemacht.
Vermeintliche Verbote. Schon vor den Erkenntnissen des VfGH haben mehrere Verwaltungsgerichte entschieden, dass Strafen wegen Verstößen gegen die Ausgangsbeschränkungen rechtswidrig waren. Das generelle Betretungsverbot wurde in der Verordnung durch eine weit gefasste Ausnahme faktisch ausgehöhlt. Eine besondere Rechtfertigung, um den öffentlichen Raum zu betreten, war nie erforderlich. Das Land Niederösterreich hat deshalb entschieden, alle Strafen für Privatbesuche während des Lockdowns zurückzuzahlen. Nach den Verwaltungsgerichten hat der Umstand, dass die Bundesregierung in Presseerklärungen Verbote verlautbart hat, die es in dieser Form nie gab, keine rechtliche Bedeutung. Dieses Gleichsetzen politischer Empfehlungen mit geltendem Recht wird unter Juristen zum Teil etwas zugespitzt als „Fake Laws“ bezeichnet.
Ungleichbehandlung ohne sachliche Rechtfertigung. Auch das zwischenzeitliche Betretungsverbot für Geschäfte mit einem Kundenbereich von mehr als 400 m2 – mit Ausnahme von Bau- und Gartenmärkten – war rechtswidrig. Geschäfte mit einem größeren Kundenbereich konnten diesen auch nicht auf 400 m2 beschränken, um so nicht unter das Betretungsverbot zu fallen. Der VfGH hat darin eine Ungleichbehandlung gegenüber vergleichbaren Betriebsstätten ohne sachliche Rechtfertigung gesehen. Die Regelung war nur kurze Zeit in Kraft, hat aber insbesondere große Einzelhändler betroffen, die dadurch massive Umsatzeinbußen erlitten haben. Mehrere Unternehmen haben bereits angekündigt, Schadenersatzansprüche gegen den Staat geltend zu machen.
Die Fehler in den Verordnungen des Gesundheitsministers waren vermeidbar oder hätten zumindest leicht behoben werden können. Es ist zwar richtig, dass insbesondere die ersten Corona-Maßnahmen unter sehr hohem Zeitdruck beschlossen wurden. Gewisse Unschärfen sind dabei fast unvermeidlich. Aber hier handelt es sich nicht um redaktionelle Versehen oder juristische Feinheiten, sondern um gravierende Mängel, die in dieser Form von Anfang an nicht hätten passieren dürfen. Umso unverständlicher ist es, dass auf die laute Kritik vieler Juristen – auch wir haben diese Punkte schon vor Monaten hier thematisiert – nicht reagiert wurde. Statt mit Nachjustierungen offensichtliche Mängel zu beseitigen, wurde stur auf die nachprüfende Kontrolle durch den VfGH verwiesen.
Die Folge sind unter anderem tausende rechtswidrige Strafen. Haben die Betroffenen kein Rechtsmittel erhoben und ihre Strafe gezahlt, haben sie keinen Anspruch auf eine Rückzahlung. Denn nur weiterhin anhängige Verfahren werden durch die VfGH-Erkenntnisse hinfällig. Vor dem Hintergrund der gravierenden Fehler in der Verordnung wäre aus unserer Sicht eine Amnestie der Strafen auf Basis einer Einzelfallprüfung angemessen. Der zuständige Gesundheitsminister hat dazu eine „bürgerfreundliche Lösung“ angekündigt. Wie diese aussehen wird, bleibt abzuwarten.
Fotos: beigestellt
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