Anlegerverfahren sind derzeit in aller Munde. Tausende Verfahren sind vor den Wiener Handelsgerichten, aber auch vor den jeweils zuständigen Gerichten, etwa in Salzburg, Graz und Linz anhängig. Das Muster ist im Prinzip immer das Gleiche: Durch die negativen Marktentwicklungen der letzten Jahre haben zahlreiche Anleger viel Geld verloren. Dabei ging es den Menschen, als sie sich für eine Veranlagung entschieden, so jedenfalls in der Regel die Klagsbehauptung, um eine sichere Veranlagung, vergleichbar einem Sparbuch, bei der zwar die Chance auf höhere „Zinsen“ besteht, das eingesetzte Kapital aber nicht verloren gehen kann. Da viele Menschen weder über das nötige Wissen noch über ausreichende Erfahrungen bei der Veranlagung von Kapital verfügen, wenden sich diese in aller Regel an einen Anlageberater, der ihnen die mit der geplanten Veranlagung verbundenen Chancen und Risiken vor Augen führt. Eine solche Beratung sollte naturgemäß auf eine Weise erfolgen, die ein Anleger auch tatsächlich versteht und die ihm eine seinen Bedürfnissen und Zielen entsprechende Entscheidung über das gewünschte Investment ermöglicht.
OGH ENTSCHEIDUNG. Eine solche Beratung ist leider alles andere als selbstverständlich, wie eine erst jüngst ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes („OGH“) zeigt (6 Ob 221/10h): Eine Anlegerin wollte „nur unter der Bedingung einer Kapitalgarantie und einer jederzeitigen Verfügbarkeit des eingesetzten Kapitals“ eine Veranlagung vornehmen. Der Anlageberater schlug daraufhin den Ankauf von Auer von Welsbach-Genussscheinen vor und sicherte eine zumindest gleich sichere Veranlagung wie auf einem Sparbuch zu. Das stimmte freilich nicht, denn diese Genussscheine boten weder eine Kapitalgarantie noch waren sie betreffend die Sicherheit einem Sparbuch vergleichbar. Auch eine jederzeitige Verfügbarkeit bestand nicht, was die Anlegerin freilich erst erfuhr, als sie im Oktober 2008 den Auftrag zum Verkauf der Wertpapiere erteilte und ihr der Anlageberater daraufhin mitteilte, dass ein Verkauf „derzeit nicht durchführbar“ sei.
KLAGE. Das wollte die Anlegerin nicht hinnehmen, klagte und begehrte die Feststellung, wonach der Anlageberater (bzw der Rechtsträger, für den der Berater einschritt) für sämtliche Schäden, die ihr „im Zusammenhang mit dem massiven Wertverlust von fünf Auer von Welsbach-Genussscheinen entstanden“ seien, zu haften habe. Es überrascht nun nicht weiter und erscheint durchaus sachgerecht, dass alle drei in diesem Verfahren berufenen Instanzen der Anlegerin recht gaben und die erteilte Beratung als ungenügend und nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechend beurteilten (der OGH wies die Revision der beklagten Partei ab, weil er das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung verneinte, er bestätigte in seiner Begründung aber die Entscheidungen der Vorinstanzen auch inhaltlich).
WAG 2007. So wie auch im hier geschilderten Fall fand die große Mehrzahl der nunmehr den Gegenstand von Gerichtsverfahren bildenden Beratungsgespräche vor dem 1. November 2007 statt, an dem ein neues Wertpapieraufsichtsgesetz („WAG 2007“) in Kraft trat. Die rechtliche Beurteilung der meisten dieser Verfahren hat daher unter Zugrundelegung der Rechtslage vor dem WAG 2007 zu erfolgen. Anlageberater unterlagen nach den damaligen Vorgaben den sog „Wohlverhaltensregeln“, nach denen eine Anlageberatung mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit im Interesse des Kunden zu erbringen ist und dem Anleger alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen sind, soweit dies zur Wahrung der Interessen des Anlegers erforderlich war. Wenn daher ein Anlageberater Genussscheine als „so sicher wie ein Sparbuch“ präsentiert, eine jederzeitige Verfügbarkeit behauptet und insbesondere auf die mit einer solchen Veranlagung verbundenen Verlustrisiken nicht hinweist, ist dies keine kundenadäquate und an den Bedürfnissen des Anlegers orientierte Beratung. Ein solches Vorgehen erfüllt auch die (an sich ähnlichen) gesetzlichen Vorgaben des aktuellen WAG 2007 (konkret § 43 WAG 2007) zweifellos nicht.
KURSSCHWANKUNGEN. So weit, so klar. Die Entscheidung lässt freilich einen Aspekt außer acht, der entscheidungswesentlich erscheint. Im hier beschriebenen Fall unterzeichnete die Anlegerin nämlich ein unausgefülltes Anlegerprofil, quasi „blanko“ und überließ es dem Anlageberater, dieses Profil zu einem späteren Zeitpunkt auszufüllen. Die bei einer Veranlagung naheliegenden und entscheidenden Fragen, wie die Risikobereitschaft des Anlegers, bisherige Vorerfahrungen, der Veranlagungshorizont oder auch die Bereitschaft des Anlegers Kursschwankungen zu akzeptieren, wurden daher im konkreten Fall von der Anlegerin (zumindest im Anlegerprofil) gar nicht beantwortet. Anleger- oder auch Risikoprofile werden von Anlageberatern häufig an dahinter stehende Strukturvertriebe und schließlich an die Emittentin (als die die Wertpapiere ausgebende Stelle) oder eine dahinterstehende Depotbank weitergeleitet. Sind die Angaben nun unrichtig, werden Wertpapierkaufaufträge auf einer Grundlage durchgeführt, die so nicht korrekt ist, was freilich einer dahinterstehenden Emittentin oder einer Depotbank gar nicht bekannt ist bzw mangels einer persönlichen Begenung mit dem Anleger auch gar nicht bekannt sein kann. Dass in dieser Konstellation keine nochmalige Prüfpflicht besteht, weil sich das jeweilige Beratungsunternehmen durch den Abschluss eines Beratungsvertrages mit dem Anleger zu einer eigenständigen Dienstleistung verpflichtet hat, ist allgemein anerkannt. Schon nach alter Rechtslage (also jener vor Erlassung des WAG 2007) war klar, dass die Wohlverhaltensregeln teleologisch zu reduzieren waren und die Doppelbefragung und Doppelaufklärung ein und desselben Kunden nicht erforderlich ist (zuletzt OLG Wien 5 R 106/10k). Nichts anderes sieht das WAG auch in seiner aktuellen Fassung vor, wenn es klarstellt, dass sich ein Rechtsträger auf die von einem Kunden übermittelten Informationen verlassen darf, es sei denn, er weiß oder müsste wissen, dass die Informationen „offensichtlich veraltet, unzulässig oder unvollständig sind.“
AUSSICHT. Was bedeutet das für den Anleger? Soll Geld veranlagt werden, ist es unerlässlich, korrekte Angaben über die eigenen Wünsche, Bedürfnisse und Anlageziele zu machen, weil nur auf dieser Basis eine sachgerechte Beratung und die Auswahl eines passenden Anlageproduktes möglich ist. Deswegen muss, was in der Praxis nicht immer passiert, rechtlich aber klar gefordert wird (LG ZRS Graz 21Cg90/08i), zuerst das Anlegerprofil ausgefüllt und dann eine Produktauswahl anhand dieser Kundenangaben getroffen werden und nicht umgekehrt zunächst ein Produkt vorgestellt und dann die Kundenangaben an das Produkt angepasst werden. Hier ist auch jeder Anleger selbst gefordert, korrekte Angaben über das von ihm gewünschte Investment zu machen, um eine auf ihn abgestimmte Beratung überhaupt erst zu ermöglichen. Wer dagegen Angaben macht, um ein bestimmtes Produkt erwerben zu können (zb eine „hohe Risikobereitschaft“ angibt, um Einzelaktien zu erhalten), obwohl eigentlich eine risikolose Veranlagung gewünscht ist, setzt sich möglicherweise dem Vorwurf aus, fahrlässig, zumindest aber sorglos eine Erklärung abgegeben zu haben, die für den späteren Schaden ursächlich jedenfalls aber mitverantwortlich war. Blankounterschriften auf Anlegerprofilen und umso mehr Angaben, die mit den tatsächlichen Anlagezielen in Widerspruch stehen, sind daher tunlichst zu vermeiden, will man sich als Anleger nicht später dem Vorwurf aussetzen, man habe durch unrichtige Angaben selbst den eingetretenen Schaden herbeigeführt, zumindest aber mitverursacht.
Dr. Gert Wallisch
www.ksw.at
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