Lies mich, lies mich nicht – Zur Lektüre von Anlageprospekten

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„Anleger müssen den Prospekt nicht mehr lesen!“ – so oder ähnlich lauten die Kommentare zu zwei jüngst ergangenen Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs (BGH). Auch durch die österreichische Medienwelt geistert dieser Gedanke. Doch hat der BGH wirklich so entschieden?

Richtig ist, dass der BGH in seinen Entscheidungen III ZR 249/09 und III ZR 203/09 ausführt, dass das Unterlassen der (nachträglichen) Lektüre übergebener Anlageprospekte nicht als „grob fahrlässiges“ Verhalten zu qualifizieren ist. Der Anleger darf den Angaben im Beratungsgespräch vertrauen, auch wenn diese prospektwidrig sind. Dies stellt jedoch keinen Freibrief dar, den Emissionsprospekt komplett außer Acht zu lassen. Tatsächlich weist der BGH in beiden Entscheidungen explizit darauf hin, dass die Lektüre des Anlageprospekts wesentlich ist. Die Beschäftigung mit dem Prospekt wird sogar dringend empfohlen. Ist ein solcher geeignet, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln und wird er rechtzeitig vor Vertragsabschluss übergeben, kann mit der Übergabe allein schon der Beratungs- und Auskunftspflicht Genüge getan sein. Die Entscheidungen der Karlsruher Richter, die zur Frage des Beginns von Verjährungsfristen ergangen sind, tragen daher die medialen Ausrufe nicht.

Zweifellos sind diese Entscheidung begrüßenswert Anlegerfreundlich; möglicherweise werden diese auch Einfluss auf weitere Entscheidungen – auch in Österreich – haben. Insbesondere im Bereich des dem Anleger zurechenbaren Mitverschuldens wird in Österreich durchgängig entschieden, dass eine unterlassene Informationsaufnahme aus dem Prospekt ein Mitverschulden des Anlegers am Vermögensverlust darstellt. Die Mitverschuldensquote könnte aufgrund dieser Entscheidungen drastisch sinken, ja entfallen. Aber auch hier sind in Zukunft Einzelfallentscheidungen zu erwarten. Von einem allgemeinen Entfall der Lektürepflicht kann nicht gesprochen werden.

Rechtsanwalt Mag. Dieter Heine

www.phh.at

Foto: Walter J. Sieberer

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