1. Alte ÖNORM-Regelung (Ausgabe 1. April 2002)
Nach der Regelung der ÖNORM B2110 alt konnte jeder Vertragspartner während der vertraglichen Leistungsfrist vom jeweils anderen Vertragspartner eine Sicherstellung für die zu erbringenden Leistungen bis zu einer Höhe von 20 % der Auftragssumme verlangen. Diese Sicherstellung durfte nur in Anspruch genommen werden, wenn über das Vermögen des die Sicherstellung leistenden Vertragspartners ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde oder ein rechtskräftiges Urteil über die besicherte Leistung ergangen ist.
2. ÖNORM B2110 (Stand 1. Jänner 2009)
Nach der zweiten Auflage der ÖNORM B2110 (veröffentlicht 1. Jänner 2009) steht das in der ersten Auflage der ÖNORM B2110 beiden Vertragspartnern zustehende Sicherungsrecht nur mehr dem AG (in leicht abgeänderter Form) zu. Die Sicherstellungsmöglichkeit auch für den AN konnte entfallen, da zwischenzeitig eine von der ÖNORM unabhängige Sicherstellungsmöglichkeit für den Auftragnehmer in § 1170b ABGB vorgesehen wurde.
3. § 1170b ABGB
3.1 „§ 1170b
(1) Der Unternehmer eines Bauwerks, einer Außenanlage bei einem Bauwerk oder eines Teils hievon kann vom Besteller ab Vertragsabschluss für dasnoch ausstehende Entgelt eine Sicherstellung bis zur Höhe eines Fünftels des vereinbarten Entgelts, bei Verträgen, die innerhalb von drei Monaten zu erfüllen sind, aber bis zur Höhe von zwei Fünftel des vereinbarten Entgelts, verlangen. Dieses Recht kann nicht abbedungen werden. Als Sicherstellung können Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien oder Versicherungen dienen. Die Kosten derSicherstellung hat der Sicherungsnehmer zu tragen, soweit sie pro Jahr zwei von Hundert der Sicherungssumme nicht übersteigen. Die Kostentragungspflicht entfällt, wenn die Sicherheit nur mehr wegen Einwendungen des Bestellers gegen den Entgeltanspruch aufrecht erhalten werden muss und die Einwendungen sich als unbegründet erweisen.
(2) Sicherstellungen nach Abs. 1 sind binnen angemessener, vom Unternehmer festzusetzender Frist zu leisten. Kommt der Besteller dem Verlangen des Unternehmers auf Leistung einer Sicherstellung nicht, nicht ausreichend oder nicht rechtzeitig nach, so kann der Unternehmer seine Leistung verweigern und unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären (§ 1168 Abs. 2).
(3) Abs. 1 und 2 gelten nicht, wenn der Werkbesteller eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein Verbraucher im Sinn des § 1 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 3 KSchG ist.“
3.2 Die Regelung des § 1170b ABGB ist am 1. Jänner 2007 in Kraft getreten und auf Verträge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2006 geschlossen wurden. Gegenüber der Regelung über die Sicherstellung des AN in der ersten Auflage der ÖNORM B2110 gewährt § 1170b ABGB dem AN eine wesentlich weitergehende Sicherstellungsmöglichkeit, die nicht durch die vertragliche Leistungsfrist begrenzt ist und für kurz laufende Verträge 40 % anstatt 20 % der Auftragssumme ausmacht. Wesentlich ist auch, dass die Inanspruchnahme der Sicherheit weder an die Insolvenz des AG noch an ein gerichtliches Urteil gebunden ist sowie dass der AN eine Rücktrittsmöglichkeit bei nicht fristgerechter Sicherheitsleistung hat. Nicht zuletzt aufgrund der oft wesentlichen Abänderungen der ÖNORM B2110 in Bauverträgen
sieht § 1170b ABGB nunmehr ausdrücklich vor, dass das Recht des AN auf Sicherstellung vertraglich nicht abbedungen werden darf (und kann).
3.3 Die Sicherstellungsmöglichkeit nach § 1170b ABGB besteht für AN nicht nur gegenüber Bauherrn, sondern vielmehr auch für Subunternehmer gegenüber Generalunternehmern. Lediglich gegenüber Verbrauchern und juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann keine Sicherstellungsleistung gemäß § 1170b ABGB verlangt werden.
3.4 Die Sicherstellung beträgt 20 % des vereinbarten Entgeltes (bzw. 40 % des vereinbarten Entgeltes bei Verträgen mit maximal drei Monaten Erfüllungszeit). Unter „vereinbartem Entgelt“ ist der ursprünglich vereinbarte Werklohn samt sämtlichen nachträglichen Entgeltserhöhungen zu verstehen.
Sofern das noch ausstehende Entgelt durch Teilzahlungen unter die Grenze von 20 % bzw. 40 % des vereinbarten Entgelts fällt, hat der AN den Differenzbetrag an den AG zurückzustellen, eine Inanspruchnahme dieses Differenzbetrages wäre nicht rechtmäßig. Hingegen wird eine aliqoute Verringerung der Sicherstellung nach der Leistung von Teilzahlungen nicht gefordert. Der AN kann bis zur vollständigen Entrichtung des Entgelts noch Sicherstellungen verlangen. ((1)) Die Gesetzesmaterialien zu § 1170b ABGB sehen vor, dass der Werkunternehmer maximal eine Sicherstellung in der Höhe des noch ausstehenden Entgelts verlangen kann. Eine aliqoute Verringerung auf 20 % (bzw. 40 %) des noch ausstehenden Werklohns ist weder im Gesetz vorgesehen, noch sehen dies die Gesetzesmaterialien vor. Der AN kann bis zur vollständigen Entrichtung des Entgelts noch Sicherstellung verlangen. Andernfalls wäre der AN, der nicht sofort nach Vertragsabschluss die Sicherstellung begehrt, gegenüber jenen AN schlechter gestellt, die unmittelbar nach Vertragsunterfertigung Sicherstellung begehren. Eine Überbesicherung liegt – wie ausgeführt – daher erst ab dem Zeitpunkt vor, in welchem die Restwerklohnforderung die Höhe der Sicherstellung von 20 % (40 %) des vereinbarten Werklohns unterschreitet.
3.5 Als Sicherstellungsmittel können Bargeld, Bareinlagen, Sparbücher, Bankgarantien oder Versicherungen dienen. Bürgschaften sind im Gesetz als Sicherungsmittel nicht vorgesehen.
Der AN ist solange berechtigt, die Sicherstellung zu verlangen (und zu behalten) als der AG noch Entgelt schuldet, somit bis zum Ende der „Leistungsfrist“ des AG. ((2)) Die Sicherstellungsfrist endet somit mit der letzten Zahlung, was dazu führt, dass für den Fall der Vereinbarung eines Haftrücklasses, der erst mit Ende der Gewährleistungsfrist fällig wird, die Sicherstellungsfrist erst zu diesem Zeitpunkt endet. ((3))
3.6 Sofern der AG die Leistung einer Sicherstellung trotz Aufforderung durch den AN nicht
leistet, kann der AN seine Leistung verweigern und unter Setzung einer
angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären.
4. Zusammenfassung
Die Praxis zeigt, dass § 1170b ABGB nach seiner Einführung im Jahr 2007 anfänglich kaum in Anspruch genommen wurde. Dies hat einerseits damit zu tun, dass § 1170b ABGB nur auf Verträge, die nach dem 31. Dezember 2006 geschlossen wurden, anwendbar ist und andererseits AN anfänglich massive Bedenken hatten, diese „scharfe Waffe“ auszupacken. In der Tat verleiht diese Sicherungsmöglichkeit dem AN eine wesentlich weitergehende Absicherungsmöglichkeit als dies ursprünglich in der ÖNORM B2110 vorgesehen war. AG haben deshalb die Inanspruchnahme dieser Sicherungsmöglichkeit vielfach als unfreundlichen Akt angesehen, der die Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern erheblich beeinträchtigt.
Die Sicherstellungsmöglichkeit gewinnt jedoch in jüngster Zeit nicht zuletzt dadurch an Bedeutung, als die Einforderung der Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB für AN in vielen Fällen eine Möglichkeit bietet, im Falle von Werklohnstreitigkeiten während der Erfüllungsphase entsprechenden Druck auf den AG auszuüben. Aufgrund der mit dieser Regelung verbundenen Tragweite empfiehlt es sich jedoch für AN, im Einzelfall genau zu prüfen, ob die Inanspruchnahme der Sicherstellung nach § 1170b ABGB
Mag. Markus Busta
Foto: beigestellt
((1)) Patrick Panholzer, Die Anwendbarkeit des § 1170b ABGB, Erfahrungen seit der Einführung 2007 und die damit verbundenen Problemstellungen in der Praxis, BBl. 2009, 83.
((2)) Karasek, Kommentar zur ÖNORM B2110, Manz, 2. Aufl., Rz 1697. ((3)) Karasek, Kommentar zur ÖNORM B2110, Manz, 2. Aufl., Rz 1698.
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