Das neue Berufsbild „Legal Engineer“

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Dr. Stephan Verdino, Rechtsanwalt und Legal Engineer
Dr. Stephan Verdino, Rechtsanwalt und Legal Engineer

Legal Engineer ist eine relativ neue, wichtige und spannende Tätigkeitsbezeichnung eines Juristen im Bereich Digitalisierung (Legal Tech). Sie verbindet Recht und Technik. Was macht also eigentlich ein Legal Engineer? Wir haben dazu Dr. Stephan Verdino, Rechtsanwalt und Legal Engineer in Wien besucht.

Herr Dr. Verdino, Legal Engineer, was kann man sich dazu konkret vorstellen?

Noch ist den Wenigsten Legal Engineer ein Begriff. Er kommt aus dem Bereich der Legal Technology (kurz: Legal Tech) und bezeichnet eine relativ neue Tätigkeitsbeschreibung, auch wenn ich persönlich diese Tätigkeit bereits seit 2010 ausübe. Erst seit rund 2-3 Jahren hat man meiner Tätigkeit hierzulande eine moderne Bezeichnung verliehen, nämlich die eines Legal Engineers. Ein Legal Engineer arbeitet an der Schnittstelle vom Recht zur Technik und sorgt bei Digitalisierungsbestrebungen bzw. -projekten einer Rechtsanwaltskanzlei oder eines Unternehmens für die Umsetzung eines (digitalen) Projektes. Er detektiert vermeidbaren administrativen Aufwand und implementiert (technisch digitale) Lösungen.

Wie hat es bei Ihnen persönlich dazu gekommen?

Ich habe das Privileg mit einer sehr technikaffinen und fortschrittlichen Rechtsanwaltskanzlei (Skribe Rechtsanwälte GmbH) zu kooperieren, wo das Thema Legal Tech bereits 2010 rasant an Fahrt aufgenommen hat. Bereits davor bestand die Vision rein digital zu arbeiten bzw. waren Überlegungen präsent, wie der Rechtsanwaltsberuf in der Zukunft aussehen könnte. Im Jahr 2010 entstand der erste Kontakt mit der Fluggastrechteverordnung VO (EG) 261/2004 (eine Spezialisierung der Skribe Rechtsanwälte GmbH), wo sehr schnell klar war, dass es um eine enorme Anzahl an Kleinstansprüchen gehen wird. Damit stand fest, dass Prozesse bestmöglich standardisiert und automatisiert werden müssen, um effizient und kostenoptimal agieren zu können. Administrativer Aufwand und Fehlervermeidung musste unter dieser Prämisse auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Die technische Umsetzung war mein Aufgabengebiet.

Das klingt spannend, ist abereigentlich nicht der gewöhnliche Aufgabenbereich eines Rechtsanwaltes! Wo ist da genau Ihr Tätigkeit- bzw. Beratungsbereich?

Es beginnt mit der Analyse des Rechtsgebietes und welche Daten ich für eine effiziente Weiterverarbeitung benötige. Dann bedarf es einer Schnittstelle, um diese so gewonnenen, strukturierten Daten den erforderlichen Systemen übergeben zu können. Schließlich sollen diese in einer Anwaltssoftware „landen“, die die Notwendigkeiten erfüllt, ausreichend importfähige Felder aufzuweisen, um die Daten bestmöglich verarbeiten zu können. Die Folge sind fertige Mahnungen, Klagen, Schriftsätze mit geringstem administrativem Aufwand.

Wo liegt Ihr Hauptaugenmerk bei einer derartigen Umsetzung?

Die einzelnen Schritte gehören nach einer Analyse visualisiert, um die einzelnen Abschnitte bzw. Bereiche bestmöglich erfassen zu können. Auch um dadurch zu sehen, was an Möglichkeiten bereits da ist, also was schlicht anzupassen ist und was noch geschaffen werden muss. Viele wissen oft gar nicht, welche Möglichkeiten eigentlich eine bereits vorhandene (Anwalts-)Software bietet. Sollzustand kann etwa ein automatischer Import von Stamm- und Anspruchsdaten sein, der zu einer automatischen Aktanlage führt, wo dann wiederum Prozesse definiert sind, die Mahnungen, Klagen und Schriftsätze automatisiert erstellen. In solchen Vorlagen für Mahnungen etc. existieren Bedingungen, die eigenständig und automatisch ausgeführt werden und damit Textinhalte variabel (für den konkreten Anwendungsfall) erzeugt werden, die schließlich zum fertigen Dokument führen.

Welche Empfehlungen können Sie Kollegen bzw. Kanzleien geben bzw. was sind die wichtigsten Überlegungen, die sich jemand stellen muss, der an eine stärkere Einbindung von digitalen Lösungen denkt?

Natürlich ist das Rechtsgebiet entscheidend und inwiefern dieses für eine Standardisierung geeignet ist. Aber es gibt eigentlich kaum mehr ein Feld, wo nicht Legal-Tech-Lösungen zu einer Verbesserung beitragen. Die Fluggastrechte sind einer der klassischsten Fälle, aber auch Miete oder Arbeitsrecht. Viele Formen von Verträgen sind auch dafür geeignet.
Wichtig ist aber primär, den Status Quo zu erheben und folgende Überlegungen anzustellen:

  • Was soll eigentlich erreicht werden?
  • Wo liegen meine Stärken?
  • Wo läuft es nicht optimal? Welchen Bereich möchte ich verbessern? Wo sind viele Ressourcen gebunden?
  • Wo will ich (als Kanzlei) hin?
  • Was gibt es überhaupt für technische Möglichkeiten? Es gibt bereits sehr sehr viele Anbieter am Markt und man glaubt gar nicht, wofür es bereits Lösungen gibt. Gerade auch im Bereich der No-Code-Lösungen, die die Möglichkeiten bieten, wie jedermann sein Wissen einfach und ohne Programmieraufwand ins Digitale transformieren kann.
  • Und auch eine der wesentlichsten Fragen ist genauestens zu klären:
    Was bedeutet eigentlich die Implementierung einer neuen Lösung für das gewohnte Arbeiten! Wie wird die Akzeptanz aller Mitarbeiter:Innen sein? Da ist auch internes Marketing gefragt, denn Legal-Tech-Lösungen dürfen nicht zu Heilsbringern hochstilisiert werden. Sie müssen auch „gelebt“ werden. Legal Tech verlangt auch in den Köpfen ein neues Verständnis und Denken. Es ist nicht mit der Implementierung einer Software-Lösung getan, weil sonst läuft man Gefahr, dass solch eine Lösung dauerhaft ein Fremdkörper bleibt und ungenutzt verbleibt. Hier ist auch Legal Design eines Legal Engineers sehr wichtig, also wie es gelingt, Lösungen sozusagen „minimalinvasiv“ zu implementieren, damit die Anwendung am einfachsten zu bedienen ist und der Einfluss auf die bisherige Arbeitsweise am geringsten ist.

Sie haben sogenannte No-Code-Lösungen erwähnt. Was können diese und inwiefern bieten diese Vorteile?

Es geht dabei um Wissens-Transformation, also der Frage, wie kann ich in einfachster Art und Weise mein Experten-Wissen ins Digitale transformieren. Es sind quasi selbsterklärende digitale Baukastensysteme, die kein Programmierwissen erfordern, weswegen solche Lösungen No-Code-Lösungen heißen. Bei Low-Code-Lösungen ist ein wenig Programmierkenntnis notwendig, weswegen gerade No-Code-Lösungen so attraktiv in der Anwendung sind, weil eine Umsetzung einfach, schnell und damit kostengünstig erfolgen kann bzw. soll. Die Konzeption solcher Lösungen sind von Wenn-Dann-Regeln getragen, die individuell nach Anforderung festgelegt werden können. Es macht nichts anderes als das, was der Jurist in seinem Kopf tagtäglich macht: Sachverhaltserfassung und Subsumtion. Im Aufbau solch eines Moduls befindet sich daher auch gleich die rechtliche Kontrolle bzw. die richtige Subsumtion, wo derjenige, der solch ein Modul baut, die erforderlichen Anwendungsfälle (aus rechtlicher Sicht) abdeckt. Im Endergebnis kann ein fertiger Vertrag, ein Ergebnis oder können strukturierte Daten stehen. No-Code-Module lassen sich auch sofort und einfach auf der eigenen Homepage veröffentlichen oder Dritten (etwa Großmandanten) zur Verfügung stellen. Ich habe selbst an der Entwicklung einer No-Code-Lösung mitgewirkt (Unoy, „You know why“, www.unoy.io) und die Möglichkeiten, die man damit hat, sind schon sehr erstaunlich.

Welche Bereiche können Einsatzgebiete von No-Code-Plattformen sein?

Sie kommen in erster Linie überall dort zum Einsatz, wo repetitive Tätigkeiten vorzufinden sind. Aber auch dort, wo es um eigene digitale Rechtsdienstleistungen geht (Fluggastrechte-Portale, Portale, die Mietern bei zu hohen Mieten helfen, Verträge, NDAs, Vorsorgevollmachten, etc.). Mit No-Code-Plattformen können in kürzester Zeit Eingabemasken auf Kanzlei-Homepages erstellt werden, wo Rechtssuchende Anfragen einfach erledigen können. Großmandanten (Hausverwaltung, Versicherung, Telekommunikationsunternehmen, Versandhandel, etc.) können Eingabemasken zur Übergabe von Daten im Kurrentienbereich zur Verfügung gestellt werden, wo diese einfach und komfortabel neue Aufträge erteilen können und wiederum auf diesem Weg die Daten direkt der Anwaltssoftware übergeben werden können. Also es kommt zu einer automatischen Fallanlage und das oft mit großem administrativem Aufwand verbundene „Onboarding“ eines Neumandats fällt weg. Zuletzt können in der Anwaltssoftware automatische Schritte, wie Mahnungen, Klagen, Exekutionen erstellt werden. Da ist schon sehr viel möglich.

Herr Dr. Verdino, danke für das Gespräch.

Redaktion/Foto: Walter J. Sieberer

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