Österreichisches Korruptionsstrafrecht EU-rechtswidrig?

1127

Gastartikel: Seit der Affäre um den zurückgetretenen österreichischen EU-Abgeordneten Ernst Strasser steht das Thema Korruption wieder einmal im Zentrum des öffentlichen Interesses. Die Diskussion über den Amtsträgerbegriff ist zwar nicht neu (immerhin wurde der Begriff erst 2008 eingeführt, dann heftig kritisiert und 2009 grundlegend verändert), wird jedoch in der Strafrechtswissenschaft immer noch erstaunlich unkritisch geführt. Offensichtlich geht man einfach davon aus, dass Mitglieder des EU-Parlaments Amtsträger sind.

Ohne die guten Absichten des Gesetzgebers bezweifeln zu wollen, sei angemerkt, dass diese Sichtweise keineswegs selbstverständlich ist. Ganz im Gegenteil: Für die Interpretation des Begriffes „Organ“, auf dem die Definition des Amtsträgers aufbaut, lassen sich aus anderen Bestimmungen des Strafgesetzbuches durchaus Argumente gewinnen, die darauf hindeuten, dass EU-Abgeordnete keine „Organe“ und somit keine Amtsträger sind. Wären Abgeordnete nämlich generell Organe und damit Beamte, müssten in § 310 StGB (Amtsgeheimnis) nicht die Mitglieder von Parlamentsausschüssen eigens neben Beamten genannt werden.

Freilich wäre das Eingeständnis, dass EU-Abgeordnete nach österreichischem Recht nicht unter die wichtigsten Korruptionsdelikte fielen, höchst unangenehm für das offizielle Österreich. Immerhin ist die Republik europarechtlich dazu verpflichtet, Bestechung und Bestechlichkeit im Bezug auf EU-Abgeordnete unter Strafe zu stellen. Es ist an der Zeit, die Aufmerksamkeit auf das anscheinend weitgehend unbekannte EU-Bestechungsübereinkommen von 1997 zu lenken.

„Assimilation“ gefordert

Nach ihm muss Österreich Bestechung und Bestechlichkeit von allen nationalen Amtsträgern und Beamten aus dem eigenen Land, den anderen EU-Staaten sowie „Gemeinschaftsbeamten“ im weitesten Sinne unter Strafe stellen. Die sogenannte „Assimilation“ verpflichtet die EU-Staaten überdies, Bestechung und Bestechlichkeit bei den Entsprechungspaaren Regierungsmitglieder/EU-Kommissare, nationale/EU-Parlamentarier sowie nationale Höchstrichter/EuGH-Richter strafrechtlich jeweils „in gleicher Weise“ zu behandeln. Nach österreichischem Recht werden diese Paare aber nicht immer gleich behandelt, was teilweise EU-rechtswidrig sein dürfte.

Die Ungleichbehandlung zwischen österreichischen und europäischen Parlamentariern wurde bereits öfters kritisiert: Bei österreichischen Abgeordneten sind Bestechung und Bestechlichkeit nur strafbar, wenn sie für die pflichtwidrige Vornahme oder Unterlassung eines Amtsgeschäfts begangen werden. Die Abgeordneten gelten aber nur dann als Amtsträger, wenn sie bei einer Abstimmung oder Wahl ihre Stimmen abgeben oder sonst in Ausübung der Geschäftsordnungspflichten Handlungen vornehmen oder unterlassen. Im Hinblick auf EU-Abgeordnete (wenn man diese überhaupt als Amtsträger ansieht) besteht eine Strafbarkeit auch in jenen Fällen, in denen ein Vorteil für die pflichtgemäße Vornahme oder Unterlassung eines jeden Amtsgeschäfts angenommen bzw. gewährt wird. Eine Änderung dieser sachlich völlig unbegründeten Differenzierung zwischen österreichischen und EU-Abgeordneten wäre überaus wünschenswert. Da sich das EU-Übereinkommen jedoch auf Bestechung und Bestechlichkeit für pflichtwidrige Vornahmen oder Unterlassungen von Amtsgeschäften beschränkt, besteht insoweit noch keine EU-Problematik.

Amtsmissbrauch kennt Grenzen

Anders könnte die Rechtslage im Hinblick auf Regierungsmitglieder und Höchstrichter zu beurteilen sein. Korruptionshandlungen von und gegenüber diesen Personengruppen führen – soweit dadurch hoheitliches Handeln „erkauft“ würde (z. B. der Erlass einer Verordnung, die Einbringung eines Gesetzesvorschlages, das Fällen eines Urteils) – zu einer Strafbarkeit wegen Missbrauchs der Amtsgewalt. Da die jeweiligen europäischen Konterparts, also Kommissionsmitglieder und EuGH-Richter, jedoch nicht unter den österreichischen strafrechtlichen Beamtenbegriff fallen, käme bei gleichartigen Bestechungsakten (z. B. für das Fassen von Kommissionsbeschlüssen oder das Fällen von EuGH-Urteilen) bei ihnen eine Strafbarkeit wegen Amtsmissbrauchs nicht in Betracht, sondern nur die weniger strenge wegen Bestechlichkeit/Bestechung. Es gelten also keineswegs die Straftaten „in gleicher Weise“, wie es das EU-Übereinkommen vorsieht.

Im Übrigen spielt es bei der Beurteilung dieser Fragen keine Rolle, ob die Korruptionshandlungen in Österreich oder einem anderen EU-Mitgliedstaat begangen werden. Da dank des EU-Übereinkommens Bestechlichkeit und Bestechung in allen EU-Mitgliedstaaten strafbar sind, kann österreichisches Strafrecht grundsätzlich auch auf die in diesen Staaten begangenen Fälle angewendet werden, soweit der Täter Österreicher ist. Freilich wird eine Strafverfolgung auch im Tatortstaat (z. B. Belgien, Luxemburg) möglich sein, was eine Koordination zwischen den Strafverfolgungsbehörden erfordert. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der heimische Gesetzgeber die Vorgaben des EU-Bestechungsübereinkommens sorgfältig umsetzt. Dies ist wie gezeigt zweifelhaft.

Da auch die OECD bei der Überprüfung der österreichischen Umsetzung des OECD-Bestechungsübereinkommens nicht mit Kritik gespart hat, wäre eine neuerliche Überarbeitung des Korruptionsstrafrechts angebracht. Dabei sollte man weder kriminalpolitische Lücken noch internationale Verpflichtungen übersehen.

Univ.-Ass. Dr. Glaser arbeitet am Institut für Österr. und Europ. Wirtschaftsstrafrecht der WU Wien.

Foto: beigestellt

Flower