Transportrecht. BGH-Entscheidung erweitert Anwendungsbereich der CMR Gerichtsstände auf Direktklageansprüche gegen Verkehrshaftungsversicherer.

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Lukas Blaschon, Experte für Transportrecht in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Schärmer
Lukas Blaschon, Experte für Transportrecht in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. Schärmer

Direktklageansprüche gegen den Verkehrshaftungsversicherer können laut einer aktuellen BGH-Entscheidung an den CMR-Gerichtsständen des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR eingeklagt werden. Die gleichzeitige Inanspruchnahme von Frachtführer und Verkehrshaftungsversicherer minimiert wesentlich das klagsseitige Insolvenzrisiko.

Ausgangslage

Auf einem den CMR unterliegenden Straßengütertransport von Mailand nach Salzgitter (Deutschland) kam es zu einem Schaden am Transportgut. Der Schaden wurde durch die Versicherung des von der Absenderin beauftragten Frachtführers reguliert. Die regulierende Versicherung klagte den auf sie im Wege der Legalzession übergegangen Anspruch gegenüber dem von ihrer Versicherungsnehmerin beauftragten polnischen Subfrachtführer und dessen ebenfalls in Polen sitzender Verkehrshaftungsversicherung vor dem LG Braunschweig ein. Das angerufene Gericht erklärte sich mit Zwischenurteil für zuständig. Eine Berufung blieb erfolglos. Die Revision wurde vom BGH mit Urteil vom 29.5.2019 zu AZ I ZR 194/18 zurückgewiesen und damit die Zuständigkeit des Erstgerichtes bestätigt.

Anwendungsbereich der CMR-Gerichtsstände

Bekanntlich können alle Streitigkeiten aus einer den CMR unterliegenden „Beförderung“ am Ort der Übernahme oder Ablieferung des Gutes sowie am Sitz des Beklagten geltend gemacht werden. Laut ständiger deutscher und österreichischer Rechtsprechung und herrschender Lehre ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 31 CMR („Beförderung“ und nicht „Beförderungsvertrag“) ein weiter Anwendungsbereich. Von der Zuständigkeitsbestimmung werden daher auch außervertragliche Ansprüche erfasst, sofern sie ihren Ursprung in der zugrundeliegenden Güterbeförderung haben bzw. mit dieser in hinreichend engem Zusammenhang stehen. Die Vereinbarung zusätzlicher Wahlgerichtsstände ist zulässig. Im Übrigen sind die Gerichtsstände der CMR unabdingbar (Art. 41 CMR).

Problemstellung hinsichtlich der Zuständigkeit

Die CMR-Gerichtsstände stehen demnach unzweifelhaft für den Anspruch gegen den polnischen Subfrachtführer zur Verfügung. Nicht derart eindeutig zu beantworten ist, ob dies auch für den Anspruch gegen den Verkehrshaftungsversicherer des Subfrachtführers gilt. Für diesen stehen grundsätzlich die Gerichtsstände der Art. 10 ff EuGVVO am Sitz des Versicherers (Polen) sowie des Schadeneintrittsortes zur Verfügung. Auch wenn der Schadeneintrittsort auf Basis einer Entscheidung des EuGH (C-51/97) pauschal am Ablieferungsort argumentiert werden kann, ergibt sich hieraus zwar im Ausgangsfall, nicht aber immer ein Gleichklang zwischen EuGVVO und CMR-Gerichtsständen. Insbesondere wenn der Ablieferungsort nicht am Sitz der klagenden Partei liegt, fallen die Gerichtsstände nach EuGVVO und CMR auseinander. Die EuGVVO bietet weiters keinen Gerichtsstand am Übernahmeort. Das Fehlen eines solchen Gleichklanges führt letztlich oft dazu, dass gegen den Subfrachtführer und dessen Verkehrshaftungsversicherer zwei getrennte Prozesse einzuleiten sind oder – was weitaus häufiger der Fall ist – von einer Klagsführung gegen den Verkehrshaftungsversicherer überhaupt abgesehen wird.

Die Entscheidung des BGH

In der gegenständlichen Entscheidung sprach der BGH nunmehr aus, dass auch Direktansprüche gegen Verkehrshaftungsversicherer in den Anwendungsbereich des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR fallen, da sie in hinreichend engem Zusammenhang mit der Güterbeförderung stehen. Dies ist insofern nicht selbstverständlich, als sich der Direktanspruch nicht allein aus der Beförderung, sondern zumindest auch aus dem Versicherungsvertragsverhältnis ergibt. Der beklagte Verkehrshaftungsversicherer könnte bei näherer Betrachtung zu seiner Verteidigung sogar ausschließlich Argumente aus dem Versicherungsvertragsverhältnis heranziehen.

Begründung der Entscheidung

Der BGH argumentiert den erforderlichen (hinreichenden) Zusammenhang des Direktanspruchs mit dem Beförderungsvertrag im Wesentlichen damit, dass es die Anwendung des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR dem Geschädigten ermöglicht, mehrere aus demselben Beförderungsvertrag herrührende Streitigkeiten vor den Gerichten eines einzigen Vertragsstaates abzuwickeln. Die nach nationalem Recht bestehende Akzessorität zwischen den geltend gemachten Ansprüchen gewährleistet weiters, dass die Haftung des Frachtführers nicht weiter geht, als jene des Verkehrshaftungsversicherers. Dadurch ist laut BGH auch dem Zweck des Art. 31 Abs. 1 CMR Rechnung getragen, nämlich divergierende gerichtliche Entscheidungen zu verhindern. Der Umstand, dass der im Wege einer Direktklage in Anspruch genommene Verkehrshaftungsversicherer sich möglicherweise ausschließlich auf Einwendungen aus dem Versicherungsverhältnis berufen kann, löst den Zusammenhang mit dem Beförderungsvertrag laut BGH nicht auf.

Materiellrechtliche Voraussetzung

Materiellrechtliche Voraussetzung für die direkte Inanspruchnahme des Verkehrshaftungsversicherers ist, dass für diese im jeweils anwendbaren nationalen Recht eine gesetzliche Grundlage existiert. Das auf den jeweiligen Einzelfall anzuwendende materielle Recht ergibt sich aus Art. 18 Rom II Verordnung. Der Verkehrshaftungsversicherer kann nur direkt in Anspruch genommen werden, wenn dies „nach dem auf das außervertragliche Schuldverhältnis oder nach dem auf den Versicherungsvertrag anzuwendenden Recht“ vorgesehen ist. Deliktsstatut oder Versicherungsstatut sind jeweils im Einzelfall zu prüfen. Im Ausgangsfall ergibt sich der Direktklageanspruch aus Art. 822 § 4 des Polnischen Zivilgesetzbuchs.

Praxis / Vorteile einer Direktklage

Die Praxis zeigt, dass es im Einzelfall oft schwer ist, den Verkehrshaftungsversicherer eines im Ausland sitzenden Subfrachtführers ausfindig zu machen, von diesem Informationen zu erhalten oder überhaupt erst in Kontakt zu treten. Es bedarf regelmäßig des Einsatzes kostenintensiver Mittel wie beispielsweise eines ausländischen Korrespondenzanwaltes. Antworten – sofern solche überhaupt erfolgen – lassen meist keinen Rückschluss auf das zugrundeliegende Versicherungsvertragsverhältnis zu. Demgegenüber sind die Vorteile einer Direktklage evident. Für die klagende Partei eröffnet sich ein zusätzlicher Deckungsfond. Dies ist insbesondere deshalb relevant, weil Forderungen jenseits von € 10.000,00 gegenüber osteuropäischen Unternehmen erfahrungsgemäß schwer durchsetzbar sind.

Fazit

Zusammenfassend wird der Anwendungsbereich des Art. 31 Abs. 1 lit b CMR durch die gegenständliche Entscheidung auf Direktklageansprüche gegen Verkehrshaftungsversicherer erweitert. Insbesondere können diese am Gerichtsstand des Übernahmeortes eingeklagt werden, welche Möglichkeit die EuGVVO nicht bietet. Die gleichzeitige Inanspruchnahme von Frachtführer und Verkehrshaftungsversicherer minimiert darüber hinaus wesentlich das klagsseitige Insolvenzrisiko. Alles in allem ist die Entscheidung des BGH daher aus Sicht österreichischer CMR-Versicherer und Frachtführer im Hinblick auf einen Regress gegen polnische Subfrachtführer zu begrüßen. Die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Schärmer hat auf Basis der erläuterten BGH-Entscheidung bereits eine ähnliche Klage unter direkter Miteinbeziehung eines polnischen Verkehrshaftungsversicherers eingebracht. Abzuwarten bleibt, ob sich die österreichischen Gerichte der deutschen Rechtsprechung anschließen.

www.transportrecht.at

Foto: beigestellt

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