Gerade noch vor Jahresende hat der Gesetzgeber mit der Novelle des Nahversorgungsgesetzes die europäische UTP-Richtlinie umgesetzt. Die Richtlinie und ihre Umsetzung in dem nun als Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz („FWBG“) bezeichneten Gesetz soll bestimmten Handelspraktiken in der Lebensmittelversorgungskette entgegenwirken.
Das Gesetz kommt zur Anwendung, wenn der Abnehmer bestimmte Umsatzschwellen erreicht und der Lieferant seinerseits unterhalb der gesetzlichen Umsatzschwellen bleibt. Diese Schwellen gelten als Indikator für das Bestehen eines Machtgefälles. Werden diese Schwellen erreicht, sind gewisse Handelspraktiken ausnahmslos verboten und andere nur bei ausdrücklicher Vereinbarung erlaubt.
Das Gesetz ist mit 1.1.2022 in Kraft getreten. Bei Verstößen drohen die Nichtigkeit der relevanten Klauseln sowie Unterlassungsansprüche und Geldbußen. Die Geldbußendrohung ist nach einer kurzen Schonfrist ab 1.5.2022 anwendbar. Eine neu eingerichtete Erstanlaufstelle beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus soll eine vertrauliche Beratung von Lieferanten und eine unbürokratische Streitbeilegung ermöglichen. Zuständige Ermittlungsbehörde ist die Bundeswettbewerbsbehörde („BWB“), die über vergleichbare Ermittlungsbefugnisse wie im Bereich des Kartellrechts verfügt. Zur Untersagung sowie zur Verhängung von Geldbußen ist das Kartellgericht zuständig.
Einführung
Die Änderungen im FWBG und die UTP-Richtlinie Nr 2019/633 („UTP-RL“) sind das Resultat einer politischen Diskussion über Entwicklungen in der Lebensmittelversorgung, die ihren Ausgangspunkt in der Preisentwicklung während der Finanzkrise hatten. Nach den Beobachtungen der Europäischen Kommission wurde der Rückgang der Rohstoffpreise nach dem Höhepunkt der Krise in geringerem Umfang an die Verbraucher weitergegeben als der diesen vorangehende Preisanstieg. Als potenzielle Ursachen für diese Entwicklung machte die Kommission vertragliche Ungleichgewichte infolge unterschiedlicher Verhandlungsmacht der Akteure in der Wertschöpfungskette, mögliche wettbewerbswidrige Praktiken sowie ein unzureichendes Ausmaß an Preistransparenz und Vorhersehbarkeit aus.
Die UTP-RL betrifft das erste dieser möglichen Probleme, nämlich das Risiko unlauterer Handelspraktiken aufgrund unterschiedlicher Verhandlungsmacht. Zwar gab es schon vor der Richtlinie in den meisten Mitgliedstaaten Regelungen, die sich dieser Thematik konkret im Bereich der Lebensmittelversorgung annahmen. So bestand in Österreich schon seit jeher Rechtsprechung dazu, dass ein „Anzapfen“ von Lieferanten durch nachfragestarke Handelsunternehmen eine unlautere Geschäftspraktik nach § 1 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb („UWG“) bilden kann. Dies vor allen dann, wenn der angezapfte Lieferant eine Zuwendung an das Handelsunternehmen nur wegen eines wirtschaftlichen Druckgefühls macht.
Der europäische Gesetzgeber sah eine Harmonisierung dennoch als erforderlich an, da die nationalen Regelungen sehr unterschiedlich und zum Teil nur eingeschränkt effektiv waren.
Der österreichische Gesetzgeber hat sich konsequenter Weise entschieden, die UTP-RL im Nahversorgungsgesetz (nun FWBG) umzusetzen, welches in den 70er- und 80er-Jahren dem „Greißlersterben“ entgegenwirken sollte, seither in der Praxis aber eher ein Schattendasein fristet.
Anwendungsbereich
Die Novelle ergänzt das FWBG um einen neuen zweiten Abschnitt, der Verbote bestimmter, konkret angeführter Handelspraktiken enthält.
- Sachlich anwendbar sind die neuen Regelungen auf den Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen.
- Die persönliche Anwendbarkeit ist abhängig von der Größe des Lieferanten und des Käufers. Entscheidend hierfür ist, dass der Umsatz des Lieferanten unterhalb bestimmter Schwellen bleibt, während jener des Käufers (jeweils einschließlich zurechenbarer Unternehmen) die Schwelle überschreitet. Die höchste Schwelle nach der UTP-RL liegt bei einem Jahresumsatz von EUR 350 Mio. Der österreichische Gesetzgeber hat sich entschieden, noch eine weitere, höhere Schwelle zu ergänzen. Die neuen Bestimmungen des FWBG kommen auch zur Anwendung, wenn der Jahresumsatz des Lieferanten bis zu EUR 1 Mrd beträgt, sofern der Umsatz des Käufers über EUR 5 Mrd liegt.
- Räumlich sind die neuen Regelungen anwendbar auf alle Verkäufe, bei denen entweder der Lieferant oder der Käufer oder beide in der EU niedergelassen sind.
Verbotene Klauseln
Bei Anwendbarkeit der neuen Regelungen sind zwei Listen an unzulässigen Handelspraktiken zu beachten. Die in Anhang I angeführten Handelspraktiken sind verboten („schwarze Liste“). Hierzu gehören nach der Richtlinie
- Die Zahlung mehr als 60 bzw bei verderblichen Erzeugnissen 30 Tage nach dem Lieferzeitpunkt oder der Feststellung des zu zahlenden Betrags;
- Die kurzfristige Stornierung der Bestellung verderblicher Erzeugnisse;
- Bestimmte einseitige Änderungen der Liefervereinbarung durch den Käufer;
- Das Verlangen von Zahlungen durch den Lieferanten, die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf von Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen stehen;
- Das Verlangen von Zahlungen durch den Lieferanten für vom Lieferanten unverschuldete Qualitätsminderung oder Verlust nach Übergabe;
- Die Verweigerung der schriftlichen Bestätigung der Bedingungen einer Liefervereinbarung;
- Die rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen des Lieferanten;
- Das Androhen oder Ergreifen von Vergeltungsmaßnahmen, wenn der Lieferant seine vertraglichen oder gesetzlichen Rechte geltend macht;
- Das Verlangen der Beteiligung des Lieferanten an den Kosten der Bearbeitung von Kundenbeschwerden, wenn kein Verschulden des Lieferanten vorliegt;
Der österreichische Gesetzgeber hat die Liste des Anhang I noch um zwei weitere Praktiken ergänzt:
- Z 10 sieht ein Diskriminierungsverbot vor. Bei Bestehen eines wirtschaftlichen Ungleichgewichts dürfen Käufer den jeweiligen Lieferanten ohne sachliche Rechtfertigung bei gleichwertigen Leistungen keine unterschiedlichen Bedingungen im Vergleich zu anderen Vertragspartnern gewähren;
- Z 11 schränkt die Möglichkeit des Käufers ein, dem Lieferanten die eigene Vermarktung verderblicher Urprodukte im untergeordneten Ausmaß (sogenannter „Ab-Hof-Verkauf“) zu untersagen.
Die in Anhang II angeführten Praktiken können ausdrücklich vereinbart werden, sind ansonsten aber ebenfalls unzulässig („graue Liste“). Diese Liste umfasst:
- Das Zurückschicken nicht verkaufter Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse an den Lieferanten, ohne für diese oder für deren Beseitigung zu bezahlen;
- Das Fordern einer (anteiligen) Kostentragung durch den Lieferanten für Preisnachlässe, die der Käufer im Rahmen einer Verkaufsaktion gewährt (mit Ausnahmen);
- Das Verlangen von Zahlungen des Lieferanten für
o das Lagern, Anbieten, die Listung oder das Bereitstellen seiner Produkte,
o Werbung und Vermarktung durch den Käufer;
o Die Einrichtung der Räumlichkeiten, in denen die Erzeugnisse des Lieferanten verkauft werden.
Rechtsdurchsetzung
Die Novelle führt für den zweiten Abschnitt des FWBG auch eigene Vollzugsregelungen ein.
- Mit 1.3.2022 wird eine weisungsfreie Erstanlaufstelle als Dienststelle beim Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus eingerichtet. Die Erstanlaufstelle hat im Wesentlichen beratende Funktion, kann aber von Beteiligten auch Auskünfte anfordern. Ferner kann sie eine Schlichtungsstelle, auf die sich Beschwerdeführer und Beschwerdegegner geeinigt haben, mit dem Fall befassen.
- Zuständige Ermittlungsbehörde ist die BWB, die bei Ermittlungen nach dem FWBG mit dem Kartellrecht vergleichbare Befugnisse verfügt. Konkret kann sie Auskünfte verlangen und auf Basis eines Hausdurchsuchungsbefehls des Kartellgerichts Hausdurchsuchungen durchführen.
- Wie auch im Kartellrecht verfügt die BWB nicht über unmittelbare Entscheidungsbefugnisse. Für die Entscheidung über Unterlassungsansprüche oder Anträge auf Geldbußen ist das Kartellgericht zuständig. Während für Unterlassungsansprüche auch eine direkte Antragsbefugnis betroffener Unternehmen besteht, verfügt die BWB bei Geldbußen über ein Antragsmonopol.
Die bei Verstößen drohenden Geldbußen betragen bis zu EUR 500.000. Sie bewegen sich damit nicht in derselben Höhe wie nach Kartellrecht, übersteigen jedoch deutlich die bislang nur für bestimmte Verstöße gegen das Nahversorgungsgesetz vorgesehenen Verwaltungsstrafdrohungen.
Ausblick
Erste Reaktionen der relevanten Interessensvertretungen lassen vermuten, dass das FWBG anders als das bisherige Nahversorgungsgesetz kein Schattendasein fristen dürfte. Die höheren Strafdrohungen dürften auch behördliche Ermittlungen wahrscheinlicher machen. Da die Strafdrohung bereits am 1.5.2022 anwendbar wird, ist für im Agrar- und Lebensmittelsektor tätige Unternehmen eine zeitnahe Befassung mit dem neuen Rechtsrahmen ratsam.
Foto: beigestellt
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