Der neue Kündigungsschutz für Behinderte gilt erst ab dem 5. Jahr. Das hebt die Chancen auf eine Anstellung. Die Neuregelung ist aber zum Teil unklar, Taktieren ist möglich.
Der Kündigungsschutz für begünstigte Behinderte wurde mit Jahresanfang geändert, und alle Beteiligten sind positiv gestimmt. Die neuen Regelungen werfen aber einige Fragen auf und sind noch nicht überall bekannt: So verweist die Arbeiterkammer auf ihrer Homepage noch auf die alte Rechtslage. Die Wirtschaftskammer berichtet zwar über die Neuerungen, spricht aber von einer seit Anfang 2010 geltenden Novelle.
In Wahrheit gelten die neuen Regeln seit dem 1.Jänner 2011. Sie besagen, dass der besondere Kündigungsschutz für neu eingestellte begünstigte Behinderte erst ab dem fünften Dienstjahr und nicht mehr schon nach sechs Monaten gilt. Besonders geschützt wird vom Behinderteneinstellungsgesetz, wer einen Behinderungsgrad von mindestens 50Prozent aufweist. Seine Kündigung ist nur nach Bewilligung des Bundessozialamtes möglich. Der Behindertenausschuss des Bundessozialamtes wägt dabei ab, ob eher dem Behinderten der Verlust des Arbeitsplatzes oder dem Unternehmen die Weiterbeschäftigung zugemutet werden kann. In der Praxis ist der Nachweis, dass die Weiterbeschäftigung unzumutbar ist, kaum zu führen. Das Gesetz nennt aber selbst beispielhaft drei Gründe, wann einer Kündigung zugestimmt werden kann: Wegfall des Arbeitsplatzes, Unfähigkeit zur Diensterbringung und beharrliche Pflichtverletzung.
Fällt der Arbeitsplatz des Behinderten weg, ist das Unternehmen verpflichtet, dem Behinderten den Arbeitsplatz eines anderen Mitarbeiters anzubieten, dessen Aufgabe der Behinderte erfüllen könnte. Nimmt der Behinderte diesen Arbeitsplatz an, und kann oder will sich das Unternehmen dann die Weiterbeschäftigung des „überflüssigen“ Mitarbeiters nicht leisten, bleibt nur die Kündigung dieses Mitarbeiters. Bei der Beurteilung, ob der Behinderte unfähig zur Diensterbringung ist, darf seine Arbeitsleistung natürlich nicht mit der eines unbehinderten Mitarbeiters verglichen werden.
Alte Frist gilt teilweise weiter
Die Neuregelung sorgt in der Praxis derzeit für gewisse Verwirrung: Denn neben der vierjährigen Wartezeit gilt die Sechsmonatsfrist bis zum besonderen Kündigungsschutz eingeschränkt weiter. Nämlich dann, wenn die Behinderung auf einem Arbeitsunfall beruht. Außerdem gilt der besondere Kündigungsschutz zwischen dem siebten Monat und der Vollendung des vierten Dienstjahres dann sofort, wenn die Behinderung in diesem Zeitraum erstmalig festgestellt wird. Bereits angestellte Mitarbeiter kommen also nach der Sechsmonatsfrist unmittelbar in den Genuss des Kündigungsschutzes. Dabei ist es unerheblich, aus welchem Grund die Behinderung eingetreten ist. Vier Jahre müssen wirklich nur die Mitarbeiter auf den Kündigungsschutz warten, die bereits bei der Einstellung begünstigte Behinderte waren. Ein bereits bestehender besonderer Kündigungsschutz bleibt unangetastet.
Die neue Regelung bietet – vom Gesetzgeber sicher nicht gewollte – Möglichkeiten zu taktieren. Weiß jemand, dass er gute Chancen hat, als begünstigter Behinderter eingestuft zu werden, sollte er diese Einstufung erst nach Antritt des Dienstverhältnisses beantragen. Dann hat er nämlich sofort den Kündigungsschutz. Lässt er sich hingegen vor Antritt einstufen, muss er volle vier Jahre auf den Kündigungsschutz warten.
Das Gesetz ist zudem missverständlich formuliert. Man könnte bei wörtlicher Auslegung herauslesen, dass bei Feststellung der Behinderteneigenschaft innerhalb der ersten sechs Monate keine Verkürzung der Wartefrist eintritt (außer bei einem Arbeitsunfall). Gewollt ist das aber wohl nicht. Sonst hätte ein Mitarbeiter, der nach sechs Monaten den Antrag stellt, sofort den Kündigungsschutz, bei Antragstellung nach fünf Monaten aber erst nach vier Jahren.
Neu ist auch, dass das Unternehmen verpflichtet ist, den Betriebsrat und die Behindertenvertrauensperson davon zu verständigen, dass ein Antrag auf Zustimmung zur Kündigung gestellt werden wird. Das Gesetz sieht aber keine Sanktionen bei einem Verstoß vor. Damit bleibt die Regelung zahnlos. Dem Betriebsrat wird vor allem die vorgesehene Möglichkeit zur Stellungnahme oft verwehrt bleiben.
Auch nicht besonders gelungen ist die neue Regel, dass das Bundessozialamt vor Durchführung des Verfahrens eine Krisenintervention anbieten muss. Unklar ist, wie so eine Intervention aussehen könnte. Vor allem verwirrt, dass die Intervention vor dem Verfahren stattfinden soll, ist doch der erste Kontakt des Bundessozialamts mit dem Fall der Antrag auf Durchführung des Verfahrens. In der Praxis herrscht daher Verunsicherung, womit zu rechnen ist.
Unternehmen wie Behindertenvertreter sehen die neue Regelung trotzdem insgesamt positiv. Insbesondere fällt für die Unternehmen die hohe psychologische Hürde weg, einen schon sehr bald beinahe unkündbaren Mitarbeiter anzustellen. Daher könnte die Zahl der tatsächlich beschäftigten Behinderten in Zukunft steigen.
Rechstanwalt Herwig Wünsch
Foto: beigestellt
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