Wegen der Auswirkungen des Corona-Virus kommt es aktuell zu zahlreichen Problemen und Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Abwicklung von Verträgen. Generell gilt, dass abgeschlossene Verträge verbindlich und daher grundsätzlich einzuhalten sind und zwar auch in Zeiten einer Pandemie.
Wenn allerdings bestehende Verträge wegen gesetzlicher oder behördlicher Maßnahmen nicht wie vereinbart erfüllt werden können, stellt sich die Frage nach den Rechtsfolgen.
1. Verzug
1.1. Wenn derjenige, der vertraglich zur Leistungserbringung verpflichtet ist, die vereinbarten Leistungen nicht am gehörigen Ort, nicht zur gehörigen Zeit oder nicht auf die bedungene Weise erfüllt, liegt Verzug vor.
1.2. Dabei wird zwischen dem objektiven Verzug (nicht verschuldeter Verzug) und dem subjektivem Verzug (verschuldeter Verzug) unterschieden.
1.3. Sofern nicht im konkreten Vertrag entsprechende Regelungen für den Verzugsfall enthalten sind, sind die folgenden gesetzlichen Regelungen anzuwenden:
1.3.1. Gerät der Schuldner (Leistungserbringer) – aus welchem Grund immer – in Verzug, kann der Gläubiger (Leistungsempfänger) entweder weiter auf Erfüllung des Vertrages bestehen oder unter Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurücktreten. Dies gilt sowohl beim objektiven als auch beim subjektiven Verzug.
1.3.2. Die Länge der zu gewährenden Nachfrist hängt dabei von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Zu berücksichtigen sind dabei vor allem die Art und der Umfang der Leistung und wie dringend sie der Leistungsempfänger benötigt. Die Nachfrist muss jedenfalls nicht so lange sein, dass sie es dem Schuldner ermöglicht, mit den Leistungsvorbereitungen erst zu beginnen, sondern nur so lange, dass bereits gesetzte Vorbereitungshandlungen zu Ende geführt werden können (z.B. der beladene LKW wartet an der Grenze noch auf die Einreisemöglichkeit). Nur wenn der Schuldner in der – gleichzeitig mit der Rücktrittserklärung – zu setzenden angemessenen Nachfrist nicht leistet, wird der Vertragsrücktritt nach Ablauf der angemessenen Nachfrist wirksam und der Vertrag aufgelöst.
1.3.3. Nur wenn den Schuldner am Verzug auch ein Verschulden trifft (subjektiver Verzug), kann der Gläubiger darüber hinaus auch Schadenersatz verlangen. Beim objektiven Verzug, dh wenn der Verzug nicht vom Schuldner verschuldet wurde, steht dem Gläubiger kein Schadenersatz zu.
1.4. Das neuartige Coronavirus und die damit verbundenen Auswirkungen werden in der Regel als höhere Gewalt (“force majeure“) zu qualifizieren sein. Im Falle höherer Gewalt trifft keine Vertragspartei ein Verschulden. Im Falle höherer Gewalt besteht daher in der Regel kein Schadenersatzanspruch gegen denjenigen, der in Verzug geraten ist.
1.5. Schadenersatzansprüche können aber sehr wohl bestehen, wenn beispielsweise
• tatsächlich nicht das Corona-Virus ursächlich für die verzögerte oder nicht erbrachte Leistung ist (mangelnde Kausalität), oder
• der Schuldner die Leistung dennoch erbringen hätte können (etwa indem er beispielsweise bei Ausfall eines Lieferanten oder von Mitarbeitern für entsprechenden Ersatz sorgen kann), oder
• wenn dem Schuldner vorgeworfen werden kann, dass er keine angemessenen Vorsorgemaßnahmen getroffen hat, um seinen Vertragspflichten auch in dieser Krisenzeit nachkommen zu können (zumutbare Sorgfalt).
1.6. Ob diese Umstände vorliegen ist jeweils im konkreten Einzelfall zu beurteilen.
1.7. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich ein in Verzug geratener Schuldner grundsätzlich nur dann auf „höhere Gewalt“ berufen kann, wenn das Coronavirus für die verspätete Leistungserbringung ursächlich (kausal) war. Ist dies der Fall, liegt objektiver Verzug vor, was zu keinen Schadenersatzpflichten führt. Hätte der Schuldner die negativen Auswirkungen das Coronavirus auf seine Leistungserbringung jedoch durch äußerste zumutbare Sorgfalt verhindern können, handelt es sich in der Regel um subjektiven Verzug, welchen der Schuldner zu verantworten hat und welcher allenfalls zu Schadenersatzpflichten führt.
2. Fixgeschäft
2.1. Ist das Geschäft an einen fixen Termin gebunden oder ergibt sich aus dem Zweck des Geschäftes, dass der Gläubiger an einer verspäteten Leistung kein Interesse mehr hat (z.B. Standmiete anlässlich einer abgesagten Großveranstaltung oder Lieferung von Gegenständen für eine abgesagte Veranstaltung) und erweist sich die Vertragsabwicklung daher nachträglich als unmöglich, zerfällt der Vertrag und bereits erfolgte (An-)Zahlungen müssen rückabgewickelt werden.
3. Nachträgliche Unmöglichkeit
3.1. Um Verzug handelt es sich nur, wenn die Leistung vom Schuldner noch erbracht, dh nachgeholt, werden kann. Kann die Leistung hingegen nicht mehr, also auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt, erbracht werden, liegt nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung vor. Um nachträgliche Unmöglichkeit handelt es sich demnach, wenn die Leistungserbringung zwischen Vertragsabschluss und Erfüllung endgültig unmöglich wird.
3.2. Wird die Leistungserbringung wegen des Corona-Virus nachträglich unmöglich, handelt es sich um eine zufällige nachträgliche Unmöglichkeit. Dadurch zerfällt der Vertrag automatisch. Das hat zur Folge, dass weder der Schuldner noch der Gläubiger ihre Leistungen erbringen müssen, dh der Schuldner erhält auch kein Entgelt. Jene Leistungen, die bereits erbracht wurden, müssen rückabgewickelt werden.
4. Wegfall der Geschäftsgrundlage
4.1. Rechtlich schwierig sind Konstellationen zu beurteilen, in denen ein leistungsbereiter Schuldner seine vertraglichen Verbindlichkeiten vereinbarungsgemäß erbringen könnte, diese für den Vertragspartner aufgrund der gegenwärtigen Ausnahmesituation jedoch nutzlos geworden sind (z.B. Reinigungsdienstleistungen in einem behördlich geschlossenen Hotelbetrieb).
4.2. In derartigen Konstellationen wäre denkbar, dass der Leistungsempfänger einen solchen Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage anfechten bzw. anpassen kann. Dies muss jedoch im jeweiligen Einzelfall genau geprüft werden, zumal der Wegfall der Geschäftsgrundlage von der Rechtsprechung üblicherweise äußerst restriktiv gehandhabt und nur in Ausnahmefällen anerkannt wird.
5. UN-Kaufrecht bei internationalen Verträgen
5.1. Bei Kaufverträgen über bewegliche Waren mit Auslandsbezug kommt vorrangig das „UN-Kaufrecht“ zur Anwendung, sofern die Vertragsparteien ihren Sitz in verschiedenen Staaten haben und diese Staaten das UN-Kaufrechtsübereinkommen ratifiziert haben. Bei diesen Verträgen ist daher zunächst zu prüfen, ob eine konkrete Rechtswahl getroffen wurde und ob die Anwendung des „UN-Kaufrechts“ ausgeschlossen wurde oder nicht.
5.2. Entsprechend den Bestimmungen des „UN-Kaufrechts“ stellt der oben beschriebene Leistungsverzug eine Form der Vertragsverletzung dar. Ist eine Vertragspartei – unabhängig davon, ob sie daran ein Verschulden trifft oder nicht – mit der Lieferung in Verzug, kann der Leistungsempfänger unter Setzung einer angemessenen Nachfrist die Erfüllung des Vertrages verlangen. Wenn diese Nachfrist erfolglos verstrichen ist oder der Verkäufer erklärt, dass er innerhalb dieser Frist nicht liefern wird (können), kann der Käufer den Vertrag aufheben.
5.3. Die vertragsverletzende Partei haftet in diesen Fällen jedoch dann nicht für einen etwaig entstandenen Schaden bzw. für einen entgangenen Gewinn, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereiches liegenden Hinderungsgrund beruht und von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden. Ob Lieferverzögerungen im Zusammenhang mit gesetzten Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus stehen und daher auf Seiten des Leistungserbringers ein Haftungsbefreiungsgrund zur Anwendung gelangt, muss zwar grundsätzlich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden, aufgrund der zweifelsohne unvorhersehbaren Pandemie wird das Vorliegen dieses Haftungsbefreiungsgrund in den meisten Fällen jedoch anzunehmen sein.
6. Vorsicht bei aktuellen Vertragsabschlüssen
6.1. Werden zum jetzigen Zeitpunkt, nachdem die gravierenden Auswirkungen des Corona-Virus allgemein bekannt sind, Verträge abgeschlossen, dann ist unseres Erachtens davon auszugehen, dass sich der Leistungserbringer bei nachfolgenden coronabedingten Schwierigkeiten in der Leistungserbringung nicht mehr auf höhere Gewalt berufen kann. Da nun bekannt ist, dass Corona erhebliche Auswirkungen hat, sollten bei Verträgen, die aktuell abgeschlossen werden, in Bezug auf Corona vertragliche Vorkehrungen getroffen werden.
Foto: beigestellt
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