Die Grenzen zwischen unzutreffender Prognose, Irreführung, Arglist und Betrug können bei der Erstellung von Geschäftsplänen fließend und rasch überschritten sein. Das Wirtschaftsblatt dazu im Interview mit den Rechtsanwälten von Sunder-Plaßmann Loibner & Partner.
Waren und Dienstleistungen werden häufig nach einem einheitlichen System vertrieben. Gemeinsam ist diesen Systemen ein Absatzkonzept mit dem Ziel der Verkaufsförderung. Ein Systemgeber übernimmt die Planung, Durchführung und Kontrolle eines Vertriebskonzepts, das von seinen Vertragspartnern umgesetzt wird. Systemvertriebe finden sich in so unterschiedlichen Branchen wie Gastronomie, Textilhandel, Nachhilfeinstituten oder aber auch dem Betrieb von Tankstellen. Neueinsteigern werden von den Systemgebern vor Vertragsabschluss Geschäftspläne unterbreitet, auf deren Grundlage die Entscheidung getroffen wird, sich dem System anzuschließen oder nicht. Erweisen sich Geschäftspläne als falsch, können die Konsequenzen für den Neueinstiger ruinös sein, wie Dr Loibner anhand eines Falles schildert:
RED.: In welcher Branche ist Ihr Fall angesiedelt?
LOIBNER: In der Minerölbranche. Mineralölgesellschaften („MÖG“) vergeben ihre Tankstellen oft in franchise-ähnlichen Systemen.
RED.: Ihrer Klientin wurde von der MÖG ein Geschäftsplan unterbreitet. Welches Ergebnis wurde dort prognostiziert?
LOIBNER: Der Geschäftsplan wies einen Gewinn im ersten Vertragsjahr von € 70.000 aus.
RED.: Und wie sah das tatsächliche Ergebnis aus?
LOIBNER: Die Klientin erlitt im ersten Jahr einen Verlust von knapp € 50.000.
RED.: Was waren die Gründe dafür?
LOIBNER: Es gab keine ersichtlichen Gründe. Auf das bald erkennbare Abweichen des Ergebnisses von der Prognose angesprochen wurde die Klientin von der MÖG vertröstet. Die Verluste wurden auf Anlaufschwierigkeiten nach der Neuübernahme des Betriebs zurückgeführt. Es wurde finanzielle Unterstützung versprochen.
RED.: Wurde diese geleistet?
LOIBNER: Nur zum Teil. Erst als auch im zweiten Jahr noch immer ein Verlust erzielt wurde, wurden im dritten Jahr Provisionen und Pacht so geändert, dass ein Gewinn erzielt werden konnte.
RED.: Wie ging es weiter?
LOIBNER: Im vierten Jahr wurde von der MÖG das System geändert. Mit der Begründung, nach dem neuen System könne wieder auf die ursprüngliche Höhe von Provision und Pacht zurückgekehrt werden, weil das neue System viel höhere Erträge garantiere, wurden der Klientin die Provisionen wieder gekürzt und die Pacht wieder erhöht.
RED.: Wie war die Reaktion Ihrer Klientin?
LOIBNER: Beinahe letal. Ihr war bewusst, dass die Systemänderung nie zu solchen Umsatzzuwächsen führen könne, die es gestattet hätten, mit der ursprünglichen Höhe von Provision und Pacht den Betrieb ertragreich zu führen und die bisher aufgelaufenen Schulden abzubauen. Die Klientin verlor den Boden unter den Füßen und unternahm einen zum Glück gescheiterten Suizid-Versuch. Sie erlitt anstatt der prognostizierten Gewinne von € 70.000 pro Jahr in den vier Jahren des Betriebs der Tankstelle einen Verlust von über € 100.000.
RED.: Ist der MÖG ein Vorwurf zu machen?
LOIBNER: Ja. Der Geschäftsplan war schlicht und ergreifend falsch. Es gelang, Einsicht in die Jahresabschlüsse der Vorpächterin zu nehmen. Bei einem Wirtschaftsprüfer wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, das den Geschäftsplan mit den Ergebnissen der Vorpächterin verglich und zu dem Ergebnis kam, mit dem Geschäftsplan seien unrealistische Ergebnisse in Aussicht gestellt worden.
RED.: Kannte die MÖG denn die Jahresabschlüsse der Vorpächterin?
LOIBNER: Natürlich. Die Tankstellen sind „gläsern“. Die Pächter müssen alle Ergebnisse an die MÖG melden und Einsicht in die Jahresabschlüsse gewähren. Das ist ja der Vorwurf, der zu machen ist, nämlich trotz Kenntnis der Zahlen des Vorgängers falsche Zahlen in den Geschäftsplan aufgenommen zu haben. Das wäre Betrug.
RED.: Handelt es sich dabei um einen Einzelfall?
LOIBNER: Leider nein. Und es wird noch besser. Der Nachfolgerin unserer Klientin wurde in deren Geschäftsplan von der MÖG ein Gewinn von immer noch € 50.000 prognostiziert. Die Nachfolgepächterin warf nach knapp einem Jahr das Handtuch. Ihr Verlust belief sich in dieser Zeit auf € 35.000.
RED.: Haben denn die Pächterinnen nie Kontakt mit dem jeweiligen Vorgänger aufgenommen?
LOIBNER: Leider nein. Es wurde von der MÖG in beiden Fällen signalisiert, der jeweilige Vorpächter sei im Unfrieden geschieden und der Eindruck erweckt, eine solche Kontaktaufnahme sei nicht wirklich gewünscht. Beide Klientinnen haben den Angaben der MÖG in den Geschäftsplänen vertraut, auch weil es für sie unvorstellbar gewesen ist, dass ein Weltkonzern unzutreffende Angaben in einen Geschäftsplan aufnimmt.
RED.: Welche Konsequenzen haben die Pächterinnen gezogen?
LOIBNER: Beide haben ihre Verträge wegen Arglist angefochten und begehren die Rückabwicklung der Verträge sowie Schadenersatz.
RED.: Wäre dies nicht ein Fall für den Staatsanwalt?
SUNDER-PLASSMANN: Ja, ist es auch bereits. Ein dritter Pächter, dem ein ähnliches Schicksal wiederfahren ist, hat Anzeige erstattet. Unsere Klientinnen haben sich dem Verfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. Derzeit liegt der Schlussbericht des Landeskriminalamtes bei der Staatsanwaltschaft zur Prüfung.
RED.: Wird gegen die MÖG nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz ermittelt?
SUNDER-PLASSMANN: Ermittelt wird derzeit gegen die Mitarbeiter der MÖG, welche die Geschäftspläne erstellt haben. Ist diesen Mitarbeitern ein Vorsatzdelikt vorzuwerfen, wäre unseres Erachtens schon auch zu prüfen, ob Entscheidungsträger der MÖG nicht die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben, um die Erstellung falscher Geschäftspläne für neue Pächter zu unterbinden, indem sie wesentliche organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben, wie zB eine edv-unterstützte Überprüfung der Zahlen in den Geschäftsplänen mit den der MÖG bekannten Daten des Vorpächters auf Plausibilität vorzusehen.
Dr. Haimo Sunder-Plaßmann, Dr. Günther Loibner
Interview / Redaktion / Fotos:
Walter J. Sieberer, redaktion@wirtschaftsanwaelte.at
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