Fluggastrechte, Annullierungen und das aktuelle Chaos der Flugbranche

598
Franziska Puschkarski und Dr. Stephan Verdino
Franziska Puschkarski und Dr. Stephan Verdino

Die Pandemie, Kurzarbeit und diverse Umstrukturierungen führten zu einem massiven Personalabgang in der gesamten Luftfahrtbranche und bringen das System an seine Grenzen. Davon sind auch zahlreiche Flughäfen betroffen.

Als wäre die Covid-19-Pandemie für die gesamte Luftfahrtbranche nicht schon genug gewesen, da steht bereits das nächste große Problem vor der Tür, welches aber insbesondere massive Auswirkungen auf die Urlaubsreisenden im Sommer 2022 haben wird. Personal fehlt praktisch überall. In Summe Vorzeichen für einen Sommer mit Unregelmäßigkeiten, wie er in dieser Dimension vielleicht noch nie da war.

Was passiert, wenn ich davon betroffen bin? Welche Rechte habe ich? Kann ich dafür überhaupt vorsorgen?

Rechtsgrundlage in den allermeisten Fällen stellt die sog. Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 dar. Daneben gibt es – insbesondere für Vorkommnisse im Zusammenhang mit Gepäck – das Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, kurz: Montrealer Übereinkommen (Abk. MÜ). Ergänzend dazu noch das Pauschalreisegesetz (PRG).

Der Geltungsbereich der Fluggastrechteverordnung erstreckt sich zunächst auf alle Flüge, die von einem Flughafen eines Mitgliedsstaates innerhalb der Europäischen Union angetreten werden und Flügen, die von Luftfahrtunternehmen, die Ihren Sitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union haben und auf einem Flughafen mit Sitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union landen.

Dabei sind Fluggäste sowohl bei einer erlittenen Annullierung wie auch einer Verspätung, als auch einer Nichtbeförderung nach der Fluggastrechteverordnung geschützt. Dies unabhängig davon, wer die Reise bezahlt hat. Auch Minderjährige haben einen Anspruch, solange diese einen reservierten Sitzplatz bzw. ein Ticket oder eine Bordkarte haben und einen – wenn auch geringen – Flugpreis bezahlt haben.

Hat sich eine Annullierung ereignet, so stehen betroffenen Fluggästen gemäß Art. 5 Abs 1 lit. a.) sog. „Unterstützungsleistungen“ gemäß Art. 8 gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen zu. Der Artikel 8 gewährt ein Wahlrecht zwischen der unter lit. a) binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten (Barzahlung, Überweisung, Scheck) zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, alternativ der unter lit b) gewährten anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder der in lit. c) gewährten anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.

Des Weiteren stehen Fluggästen Betreuungsleistungen gemäß Artikel 9 Abs 1 lit a) und Abs. 2 zu, wonach im angemessenen Umfang Verpflegung, sofern erforderlich eine Hotelunterbringung mit Beförderung zum und vom Hotel, wie auch Telefonate bzw. die Versendung von E-Mails angeboten werden müssen, bzw. diese Kosten ersetzt verlangt werden können.

Zuletzt steht Fluggästen auch die sog. „Ausgleichsleistung“ gemäß Artikel 7 zu, die nichts anderes ist als eine Entschädigung zwischen EUR 250,00 und EUR 600,00 pro betroffenen Fluggast. EUR 250,00 sind bei Flugdistanzen nicht mehr als 1.500 km zu bezahlen, EUR 400,00 bei Flugdistanzen zwischen 1.500 und 3.500 km und EUR 600,00 bei allen Flugdistanzen über 3.500 km. Maßgeblich für die Bemessung der Distanz ist die sog. Großkreisberechnung, eine für die Distanzmessung spezielle Berechnungsmethode.

Dieses Recht auf Ausgleichsleistung gem. Art 7 unterliegt jedoch bei einer Annullierung relevanten Einschränkungen. So kommt es darauf an, wann dem Fluggast die Annullierung mitgeteilt wurde. Wurde er nachweislich mehr als 14 Tage vor geplantem Abflug informiert, so hat er keinen Anspruch auf Ausgleichsleistung. Ist die Annullierung zwischen 14 und 7 Tagen vor Abflug erfolgt, ist relevant, wann ein von der Fluglinie zu organisierender Ersatzflug das Endziel erreicht. Es besteht kein Anspruch, wenn dieser Ersatzflug nicht früher als 2 Stunden vor der ursprünglichen Startzeit startet oder nicht später als 4 Stunden nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit am Zielort landet. Erfolgt die Verständigung einer Annullierung weniger als 7 Tage vor geplantem Abflug, besteht kein Anspruch auf Ausgleichsleistung, solange der Flug nicht länger als 1 Stunde vor und nicht später als 2 Stunden nach der geplanten Ankunftszeit des ursprünglichen Fluges am Zielort ankommt.

Auch bei einer Flugverspätung steht Fluggästen eine Ausgleichsleistung gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zu, sofern diese später als 3 Stunden am Zielort ankommen. Da es hier oft um Minuten gehen kann, können Kleinigkeiten entscheidend sein, so gilt beispielsweise erst das Öffnen der Bordtüren als der Zeitpunkt, ab dem ein Flug tatsächlich als angekommen gilt.

Ist die Verspätung mehr als 5 Stunden besteht gleichfalls ein Recht auf Erstattung der Kosten des Flugtickets. Entscheidet sich ein Fluggast für die Erstattung, besteht kein Anspruch mehr auf Weiterbeförderung. Unterlässt die Fluglinie die Weiterbeförderung und erstattet die Ticketkosten, dann könnten Fluggäste allenfalls die durch eine selbst organisierte Weiterbeförderung entstandenen Mehrkosten ersetzt erhalten, wobei hier zumindest dem Luftfahrtunternehmen, welches die Annullierung zu verantworten hat, eine angemessene Möglichkeit zur Organisation der Weiterbeförderung zu geben ist. Also sofortige Eigeninitiative durch umgehende Buchung eines Ersatztickets kann dazu führen, dass das Luftfahrtunternehmen berechtigt einen Ersatz ablehnt.

Sowohl bei einer Verspätung wie auch einer Nichtbeförderung gilt, dass nur anspruchsberechtigt ist, wer sich zur angegebenen Zeit oder in Ermangelung einer solchen Angabe nicht weniger als 45 Minuten vor der geplanten Abflugzeit zur Abfertigung eingefunden hat. Auch kann sein, dass in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sich diesbezügliche Regelungen finden.

Liegen in Fällen einer Annullierung oder Verspätung sog. außergewöhnliche Umstände vor, wäre das betroffene Luftfahrtunternehmen an sich von einer Verpflichtung zur Bezahlung einer Ausgleichsleistung gemäß Art. 7 befreit. Die häufigsten außergewöhnlichen Umstände sind schlechtes Wetter, die Sperre eines Flughafens, Streik des Flughafenpersonals, Vogelschlag oder Blitzschlag. Generell sind die meisten Naturkatastrophen außergewöhnlich. Technische Probleme am Flugzeug stellen überwiegend keine außergewöhnlichen Umstände dar, da technische Probleme zum allgemeinen Flugbetrieb gehören und daher in der Risikosphäre der Fluglinie liegen. Allerdings sind seitens des betroffenen Luftfahrtunternehmens trotz Vorliegens von außergewöhnlichen Umständen alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um eine durch außergewöhnliche Umstände bewirkte Verspätung oder Annullierung für betroffene Flugreisende zu verhindern. Zumutbare Maßnahmen wäre etwa der Einsatz von Ersatzflugzeugen, Subchartern oder die umgehende Umbuchung auf eine Ersatzbeförderung.

Bezugnehmend auf den im Sommer 2022 vorherrschenden Personalmangel bei Flughafenbetreibern ist festzuhalten, dass diese Auswirkungen unserer Einschätzung nach gänzlich der Fluglinie zuzurechnen sein werden und folglich Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung bestehen. Rechtliche Unsicherheit gibt es nur insoweit, als bislang noch keine Entscheidung eines österreichischen oder deutschen Gerichtes zur Frage vorliegt, ob krankheitsbedingte Personalausfälle durch Covid-19 ebenso der Fluglinie zuzurechnen sind. Das bleibt abzuwarten.

Ungeachtet des Vorliegens von außergewöhnlichen Umständen sind bereits ab einer Verspätung von 2 Stunden und einer Flugdistanz, die nicht länger als 1.500 km ist, Leistungen des Luftfahrtunternehmens zu erbringen. Dabei sind den betroffenen Fluggästen die Betreuungsleistungen gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a) und Absatz 2 der Fluggastrechteverordnung zu gewähren. Das sind deren Kosten für Verpflegung (in angemessenen Umfang), wie Getränke oder Telefonate. Sollte der geplante Abflug erst am nächsten Tag sein, ist auch eine Hotelübernachtung samt Transfer bereitzustellen bzw. – sofern das nicht erfolgen sollte – können die Aufwendungen dafür, die wiederum nur im angemessenen Umfang sein dürfen, ersetzt verlangt werden. Ist die Verspätung mindestens 5 Stunden, sind Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 Abs 1 lit a) (Erstattung der Flugscheinkosten) zu gewähren.

Bei Gepäckverspätung, -Beschädigung oder -Verlust ist unbedingt der Airline am besten am Flughafen selbst, jedenfalls schnellstmöglich und maximal innerhalb von 7 Tagen ab Ankunft mithilfe des sog.- PIR-Formulars (Property Irregularity Report) der Vorfall zur Kenntnis zu bringen. Bei verspätetem Gepäck sind es 21 Tage, nach Erhalt des Gepäcks. Hierbei handelt es sich um eine Präklusivfrist. Generell gilt eine Verjährungsfrist von 2 Jahren. Wichtig ist, Belege für allfällig notwendig werdende Einkäufe aufzuheben und bei Einkäufen zu bedenken, dass dies nur in einem angemessenen Umfang möglich sind und ersetzt werden, sodass der Kauf luxuriöser Gebrauchsgegenstände gegen die Schadensminderungspflicht gegenüber der Airline verstoßen würde und in solch einem Umfang nicht ersetzt werden. Darüber hinaus gewährt die bei Gepäckvorfällen zur Anwendung kommende Montrealer Übereinkommen Höchstgrenzen beim Ersatz, sodass grundsätzlich gilt, dass nur Ersatzeinkäufe oder Schäden bis zu einer Höchstgrenze von rund EUR 1.500,00 (1.288 Sonderziehungsrechte, SZR) pro Fluggast ersetzt werden, sofern nicht ein Gepäck als besonders wertvoll aufgegeben wurde und die Airline davon in Kenntnis war bzw. entsprechende Vorsorge getroffen hat.

Ansprüche nach der Fluggastrechteverordnung sind verschuldensunabhängig und Ansprüche nach dem Montrealer Übereinkommen verlangen zwar ein Verschulden, jedoch gilt eine Beweislastumkehr zugunsten des betroffenen Fluggastes.

Wie bereits jetzt breit medial zu erfahren war, werden eine sehr große Anzahl an Flügen aktuell annulliert. Hier gilt ungeachtet bei wem oder in welcher Form gebucht wurde, der Regelungsinhalt der Fluggastrechteverordnung. Allerdings kommt schließlich auch der Frage, bei wem gebucht wurde, eine besondere Bedeutung zu. Sommerreisende buchen mehrheitlich beim Reiseveranstalter, sodass dort das Schutzniveau bei einer Annullierung grundsätzlich am umfassendsten ist, da ein Vertrag zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden direkt entsteht, wobei eine Fluglinie hier als Erfüllungsgehilfe anzusehen ist und bei solch einem Pauschalreisevertrag bei Leistungsstörungen, die etwa durch eine Fluglinie infolge einer Annullierung bewirkt werden, Ansprüche auf sämtliche Buchungselemente (Hotel, etc.) durchgreifen und hier zur vollständigen Erstattung des Reisepreises führen können.

Die zumeist durch eine Annullierung bewirkte Änderung der Reisedaten muss immer zumutbar sein. In der Praxis wird schon dann, wenn die Reise an einem anderen Tag stattfinden soll, eine unzumutbare wesentliche Veränderung gegeben sein, die zum Rücktritt und einer vollständigen Erstattung berechtigt. Ebenso ein Nacht- statt einem Tagflug.

Werden Flug und Hotel bei Vermittlungsplattformen in einem Buchungsvorgang gebucht, dann wird dieser Reisevermittler zum Reiseveranstalter. Werden etwa mindestens zwei Reiselemente (z.B. Flug und Hotel) innerhalb von 24 Stunden gebucht und jeweils separate Verträge abgeschlossen, dann handelt es sich um sog. „verbundene Reiseleistungen“, die nicht als Pauschalreise zu qualifizieren sind, was zur wesentlichen Folge hat, dass die Rechte aus der Fluggastrechteverordnung zwar zustehen, jedoch hinsichtlich der separat gebuchten Reiseleistung (Hotel, etc.) ein Verschulden vorzuliegen hätte, welches aber im Regelfall schwer darstellbar ist. Darüber hinaus hat etwa ein Hotelbetreiber wohl nicht das Risiko der rechtzeitigen Anreise des Gastes mitzutragen.

Gleiches gilt bei der Reservierung eines Mietwagens, dessen Buchungsvorgang oft separat erfolgt. Darüber hinaus ist immer Einblick in die jeweiligen Mietwagenvertragsbedingungen zu nehmen.

TIPP

Abschließend ist generell zu empfehlen, bestmöglich einen Vorfall mit Bildern und allenfalls Videos zu dokumentieren. Fragen Sie das Bodenpersonal nach deren Namen, die Ihnen allenfalls eine Information zum Vorfall gegeben haben. Betroffene sollten alle Belege bzw. Rechnungen für Ausgaben aufheben. Je mehr Hinweise zum Vorfall in Erfahrung gebracht werden können, desto höher der Erfolg einer Anspruchsdurchsetzung.

Skribe Rechtsanwälte machen seit 2010 Ansprüche für Reisende geltend und kooperieren mit dem Fluggastrechteportal FairPlane seit deren Gründung 2011.
Dr. Stephan Verdino, Rechtsanwalt in Wien
Franziska Puschkarski, Rechtsanwältin in Wien

www.skribe.law
www.puschkarski.law

Flower