Insolvenzverschleppung

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Gottfried Gassner
Gottfried Gassner

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Im Zuge der viel diskutierten Einführung der GmbH „light“ durch das Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2013 soll die Insolvenzordnung mit 1. Juli 2013 derart geändert werden, dass die Pflicht, einen Insolvenzantrag zu stellen, in bestimmten Fällen auch Mehrheitsgesellschafter trifft.

Nach der IO ist vom Schuldner bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes (Zahlungsunfähigkeit oder insolvenzrechtliche Überschuldung) ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber binnen sechzig Tagen, ein Insolvenzantrag zu stellen.
Zur Antragstellung berechtigt und verpflichtet sind bei juristischen Personen nach derzeitiger Rechtslage die organschaftlichen Vertreter (Geschäftsführer, Vorstand), nicht hingegen Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte, Aufsichtsratsmitglieder oder Gesellschafter / Aktionäre (OGH 6 Ob 629/92, 8 Ob 124/07d). Demnach liegt derzeit die zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung für eine Insolvenzverschleppung grundsätzlich bei den Geschäftsführern / Vorstandsmitgliedern. Nur in Ausnahmefällen ist eine Haftung der Gesellschafter denkbar, zum Bespiel dann, wenn ein Gesellschafter als faktischer Geschäftsführer auftritt.

Nach der Regierungsvorlage zum GesRÄG 2013 soll nun in § 69 IO ein neuer Abs. 3a eingeführt werden. Dieser sieht vor, dass die ansonsten die vertretungsbefugten Organe treffende Verpflichtung, einen Insolvenzantrag zu stellen, den Gesellschafter trifft, wenn er mit mehr als 50 Prozent am Stammkapital beteiligt ist, und sofern die Gesellschaft keine organschaftlichen Vertreter hat.

Der Gesetzesentwurf spricht ganz allgemein von „Kapitalgesellschaften“, sodass GmbH und AG erfasst sein dürften; ganz eindeutig scheint das aber nicht, weil die neue Bestimmung sich ansonsten der Diktion des GmbH-Rechts bedient und von „Stammkapital“ und „Gesellschaftern“ spricht. Dass der österreichische Gesetzgeber auf der anderen Seite auch ausländische Kapitalgesellschaften erfassen will, ist bemerkenswert; was bleibt, ist die Frage der Durchsetzbarkeit.
Unklar ist, ob dem formellen Fehlen vertretungsbefugter Organe das faktische Fehlen gleichzuhalten ist, d.h. wenn vorhandene Geschäftsführer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen an der Antragstellung verhindert sind oder die Amtstätigkeit schlicht verweigern.

Nach dem Wortlaut der vorgeschlagenen Bestimmung trifft die Insolvenzantragspflicht offenbar nur direkte Mehrheitsgesellschafter. Nicht erfasst wären daher Gesellschafter mit einem Anteil von genau 50 Prozent (oder weniger) oder Gesellschafter, die zwar nicht direkt aber indirekt – etwa über Tochtergesellschaften – die Schwelle von 50 Prozent überschreiten. Schließlich trifft die Pflicht auch solche Gesellschafter nicht, die zwar weniger als 50 Prozent halten, die aber – etwa aufgrund von Syndikatsverträgen oder ihnen sonst eingeräumten Sonderrechten – die Möglichkeiten hätten, Organe zu bestellen und abzuberufen, bzw. allgemeiner gesprochen, die Gesellschaft zu beherrschen.

Auf der anderen Seite soll zufolge der Erläuterungen zur Regierungsvorlage die Insolvenzantragspflicht auch dann bestehen, wenn der Mehrheitsgesellschafter es nicht selbst – ohne Zutun der Mitgesellschafter – in der Hand hat, die vertretungsbefugten Organe zu bestellen, etwa weil im Gesellschaftsvertrag andere Mehrheitserfordernisse oder Bestellungsrechte einzelner Gesellschafter vorgesehen sind. Bei der AG ist das sogar der Normalfall, denn die Kompetenz zur Bestellung des Vorstands liegt beim Aufsichtsrat, nicht bei den Aktionären. Auch in solchen Fällen dem Mehrheitsgesellschafter die Insolvenzantragspflicht aufzuerlegen ist in meinen Augen überschießend.

Wenn der Mehrheitsgesellschafter die Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags nach dem neuen § 69 Abs. 3a IO verletzt, trifft ihn potentiell die gleiche Haftung, die sonst die vertretungsbefugten Organe für Insolvenzverschleppung trifft. Er haftet also zusammengefasst den Gläubigern der insolventen Gesellschaft direkt für den durch die verspätete Antragstellung entstandenen Schaden (Quotenschaden). Die Haftung ist der Höhe nach wohl nicht auf den Geschäftsanteil beschränkt. Die fundamentalen Prinzipien der beschränkten Haftung der Kapitalgeber bei einer GmbH / AG und der Trennung zwischen Geschäftsführung einerseits und Gesellschafterstellung andererseits werden hier de facto aufgehoben. Dass gegen eine solche Bestimmung daher auch europarechtliche Bedenken geäußert werden, sei nur am Rande erwähnt.

Diese neue Haftung ist für den Mehrheitsgesellschafter durchaus problematisch. Im Gegensatz zur Geschäftsführung hat er vielfach keinen laufenden Einblick in das Tagesgeschäft und die Bücher der Gesellschaft und kann sich diesen u.U. auch nicht so leicht verschaffen. Dennoch wäre er – unter Umständen kurzfristig, etwa wenn die Geschäftsführer in einer Krisensituation unerwartet zurücktreten – gezwungen, zu prüfen, ob ein Insolvenzgrund vorliegt. Das wird – ohne entsprechende Information und Know-how – nicht möglich sein. Können neue Organe deshalb nicht bestellt werden, weil die Mitgesellschafter nicht mitwirken, gerät der Mehrheitsgesellschafter durch die ihn treffende Insolvenzantragspflicht ebenfalls unter Druck – obwohl er für die Situation vielleicht gar nichts kann. Im Ergebnis wirft die Neuregelung daher viele Fragen auf und konfrontiert Mehrheitsgesellschafter von Kapitalgesellschaften – unter Umständen ohne, dass sie etwas dafür können – mit Handlungspflichten und einem Haftungsrisiko, das man als Gesellschafter mit beschränkter Haftung gemeinhin wohl nicht erwarten würde.

Mag. Gottfried Gassner ist Partner bei Binder Grösswang
www.bindergroesswang.at

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