Interview: Die Ethik der Anwälte

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In Zeiten der Krise werden auch Schiedsverfahren härter geführt. Wie geht man als Anwalt mit unethischen Verhaltensweisen des Gegners um? Schiedsrechtsexperte und Fachbuchautor Günther J. Horvath gibt einen Blick hinter die Kulissen hochkarätiger Schiedsrechtsverfahren.

Redaktion: Hr. Dr. Horvath, Sie sind Schiedsrechtsexperte der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP. Im Vorgriff auf das von ihnen und Kollegen Stephan Wilske noch 2012 erscheinende Buch „Guerrilla Tactics in International Arbitration – Ethics, Practice, Remedies“, was ist im Kontext von Schiedsverfahren unter dem Begriff „Guerilla-Taktiken“ zu verstehen?
HORVATH: Schiedsrechtler und Beteiligte an Schiedsverfahren werden in der Praxis immer wieder mit sogenannten „Guerilla-Taktiken“ konfrontiert. Es gibt keine Lehrbuchdefinition von „Guerilla-Taktiken“. Grundsätzlich kann man sie als Versuche von Parteien und/oder ihrer Vertreter beschreiben, ein Schiedsverfahren in unzulässiger Weise zu beeinflussen, etwa durch Verzögerungstaktiken, Behinderung, oder indem sie Verfahren ungerechtfertigt verkomplizieren und verzögern. Die Bandbreite der Erscheinungsformen von „Guerrilla Taktiken“ ist groß und reicht von einfachen taktisch-prozessualen Maßnahmen bis hin zu rechtswidrigen, selbst kriminellen Handlungen.

Können Sie dazu einige Beispiele aus der Praxis geben?
HORVATH: Klassische Beispiele wären: Parteien erscheinen ohne Grund nicht zu den Verhand-lungen oder sagen in der letzten Sekunde ab, bringen nicht gerechtfertigte Ablehnungsanträge gegen die Schiedsrichter ein, wollen laufend grundlos Fristerstreckungen erwirken oder weigern sich, Kosten für das Verfahren im Voraus zu zahlen. In extremen Fällen wurden schon Versuche gemacht, Schiedsrichter zu bestechen oder sie beobachten zu lassen, um ihnen bestimmte Verbindungen nachzuweisen. Extrembeispiele fallen in den strafrechtlichen Bereich, sie bilden aber die Ausnahme.

Mir ist ein Fall bekannt, in dem die Bank eines der Schiedsrichter diesen informiert hat, es habe jemand versucht, auf seine Kontounterlagen zuzugreifen. In dem gleichen Verfahren wurde der Müll eines der Schiedsrichter durchsucht.

Hat die Wirtschaftskrise einen Einfluß auf Ihre tägliche Arbeit als Schiedsrechtexperte, in dem Sinn, dass die Taktiken härter werden?
HORVATH: In der Wirtschaftskrise steigt die Zahl der Schiedsverfahren. Weil die wirtschaftlichen Verhältnisse von Parteien in der Krise angespannt sind, werden die Schiedsverfahren oftmals kompromisslos aber häufig auch schleppend geführt. Die Parteien legen in der Verfahrensführung auch des öfteren eine aggressive Gangart ein. Das ist auch bei Verfahren zwischen Investoren und Staaten zu bemerken.

Wie hat sich diese Verschärfung der Taktiken in regionaler Hinsicht entwickelt? Gibt es große Unterschiede?
HORVATH: Natürlich gibt es regionale Unterschiede. Wie die Schiedsgerichtsbarkeit ausgeübt wird, kommt zum einen auf die Parteien, zum anderen auf den Schiedsort an. Prinzipiell spielt es eine große Rolle, ob es sich um eine „common law“ oder „civil law“-Region handelt. Abhängig davon gibt es beträchtliche Unterschiede. Unser Buch setzt sich mit diesem Phänomen auseinander. Etwa zwanzig Experten aus verschiedensten Ländern, alle versierte Spezialisten auf diesem Gebiet, schildern aus erster Hand, welche „Guerilla-Taktiken“ in ihrer jeweiligen Jurisdiktion bedacht werden müssen, und was man dagegen unternehmen kann. In manchen Ländern, etwa im GUS-Raum oder in Afrika, werden schon mal auch „Hard-Core-Guerilla-Taktiken“ beobachtet. In unseren Breiten sind die „Guerrilla Taktiken“ meist „subtiler“.

Wie geht man als Schiedsrichter mit unethischen Vorgehensweisen um?
HORVATH: Genau auf dieses Thema haben wir in unserer Publikation den Fokus gelegt. Wie erwähnt soll das Buch Schiedsrechtler in ihrer Funktion als Schiedsrichter, aber auch als Rechtsvertreter praktische Tips geben, wie sie mit solchen Taktiken umgehen können. Wesentlich ist für den Schiedsrichter, nicht aus der Fassung zu geraten, möglichst sachlich zu bleiben und das Verfahren professionell voranzutreiben. Ein Wunderrezept für diese Problematik gibt es nicht. Es gibt auch kein generelles Rezept, das Schiedsrichter zur Verfügung hätten. Ein guter Tip ist aber immer die Verhängung von Sanktionen. Etwa muss bei der Festsetzung der Kosten diejenige Partei, die „Guerrilla Taktiken“ angewendet hat, auch wenn sie die obsiegende ist, einen Teil der Kosten tragen – eben als Sanktion gegen unethisches Verhalten. In Zeiten der Krise (aber auch sonst) erweist sich diese Maßnahme als am effektivsten.
Ein Schiedsgericht hat auch die Möglichkeit, negative Konsequenzen aus dem Verhalten einer Partei zu ziehen, wenn sich beispielsweise eine Partei weigert, den Aufforderungen eines Schiedsgerichts Folge zu leisten. Wenn sich eine Partei unbegründet weigert, Dokumente vorzulegen, kann das Schiedsgericht davon ausgehen, dass die nicht vorgelegten Dokumente Informationen enthalten, welche ein negatives Licht auf die Position dieser Partei werfen.

Gibt es in der Schiedsgerichtsbarkeit eine Lösung für dieses Problem?
HORVATH: Eine generelle Lösung zur Bekämpfung von „Guerrilla Taktiken“ gibt es per se nicht: Jeder Fall ist anders und verlangt nach einer eigenen Maßnahme. Man muss als Schiedsrechtler die „Guerrilla Taktiken“ erkennen und wissen, wie man mit ihnen umgehen kann. In der Praxis beobachten wir jedenfalls, dass die Problematik stetig an Relevanz gewinnt. Deshalb wird in Kreisen der Schiedsgerichtsbarkeit diskutiert, einen internationalen Verhaltenskodex einzuführen. Wenn ein solcher Kodex dazu beiträgt, Schiedsrechtler von „Guerrilla Taktiken“ abzuhalten, würde er sicherlich für die Parteien des Schiedsverfahrens viel Geld und Frustrationen ersparen. Es ist aber zu befürchten, dass wieder ein Regelwerk entsteht das die Freiheit von Schiedsverfahren (und das ist ja ihre Stärke!) einschränkt und näher an staatliche Verfahren heranführt.

Aus Ihrer langjährigen Erfahrung als international renommierter Wirtschaftsanwalt: Was können Sie dem Nachwuchs zu Frage des „ethischen Verhaltens“ im Anwaltsberuf mitgeben?
HORVATH: In der anwaltlichen Praxis ist es selbstverständlich, dass ein Rechtsanwalt sich an sein Standesrecht hält. In internationalen Schiedsverfahren ist allen Schiedsrechtlern zu empfehlen, sich an bestehenden Verhaltensempfehlungen zu orientieren (so etwa die „Rules of Ethics for International Arbitration“ der IBA).

Wenn ein Anwalt sich in der schwierigen Situation befindet, das Zielobjekt von „Guerrilla-Taktiken“ zu sein, darf er sich nicht dazu verleiten lassen, solchen Taktiken ähnliches Fehlverhalten entgegenzusetzen. Andernfalls drohen ihm selbst disziplinäre Konsequenzen “seiner“ Rechtsanwaltskammer “zuhause“ oder im Extremfall Strafverfolgung vor Ort. Nur, weil der Schiedsort New York ist, heißt das nicht, dass man als österreichischer Anwalt nicht auch in Wien disziplinär zur Verantwortung gezogen werden kann. In der Praxis kommen solche disziplinäre Verfehlungen aber eher selten vor.

Das beste Korrektiv ist aber immer noch die eigene Reputation. Ein erstklassiger Ruf ist klarerweise Voraussetzung, um in der internationalen Schiedsszene erfolgreich zu sein.

Danke für das Interview.

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Foto: Walter J. Sieberer

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