11. KWR Corporate Lounge 2016: „Entbürokratisierung und Flexibilisierung: New Deal or No Deal?“ im Dachgeschoss des Justizpalasts

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Werner Kogler, Gottfried Haber, Jörg Zehetner, Valerie Hackl, Walter Ruck
Werner Kogler, Gottfried Haber, Jörg Zehetner, Valerie Hackl, Walter Ruck

Die von der Rechtsanwaltskanzlei KWR veranstaltete „KWR Corporate Lounge“ fand heuer am 16.11.2016 bereits zum elften Mal im Dachgeschoss des Justizpalastes statt.

Zum Thema „Entbürokratisierung und Flexibilisierung: New Deal or No Deal?“ diskutierte das hochrangig besetzte Podium mit Univ.-Prof. MMag. Dr. Gottfried Haber (Donau-Universität Krems, Mitglied des Generalrates der OeNB, Vizepräsident des Fiskalrates), Dr. Valerie Hackl (Mitglied des Vorstands, ÖBB-Personenverkehr AG), Abg.z.NR. Mag. Werner Kogler (stv. Klubobmann, stv. Bundessprecher, Finanz- und Europasprecher der Grünen), Baumeister DI Walter Ruck (Bauunternehmer und Präsident der Wirtschaftskammer Wien) und RA Hon.-Prof. Dr. Dr. Jörg Zehetner (KWR, Moderation).

Regulierungsflut bedroht das Unternehmertum
Jörg Zehetner führte zunächst ins Thema ein und stellte die Frage, was getan werden müsse, um Österreich zukunftsfit zu machen. Unternehmer hätten immer mehr das Gefühl, sie würden von der Flut an Vorschriften erstickt, ja ein rechtskonformes Verhalten werde zusehends unmöglich, da man die zu befolgenden Normen nicht einmal mehr ansatzweise erfassen könne. Illustrativ erwähnte Zehetner den Umstand, dass alleine das Bundesvergabegesetz aus 351 Paragraphen und 20 Anhängen bestehe. Hinzu kämen noch neun Landesvergabegesetze. Auch gebe es weiterhin neun im Detail oft unterschiedliche Bauordnungen. Der Politik sei das Problem zwar durchaus bewusst, so zog Michael Spindelegger mit der Forderung nach einer „Entfesselung der Wirtschaft“ in den letzten Nationalratswahlkampf. Zuletzt wurde der Wirtschaft sogar ein „New Deal“ versprochen. Von einer Entlastungswelle sei aber noch nichts bemerkbar.

Reform der Gewerbeordnung
Damit leitete Zehetner zur Gewerberechtsreform über. Bei näherer Betrachtung sei die Reform durchaus beachtenswert, werde medial jedoch etwas unter ihrem Wert verkauft. Walter Ruck bestätigte diese Sichtweise und hob hervor, dass künftig 21 Teilgewerbe aufgehoben und 19 davon zu freien Gewerben gemacht werden. Dies führe auch zu einer strukturellen Vereinfachung, da es nur mehr freie und reglementierte Gewerbe geben wird. Darüber hinaus werden die Nebenrechte erweitert, um die Leistungserbringung aus einer Hand zu fördern. So dürfen künftig bei reglementierten Gewerben bis zu 15 %, bei freien Gewerben bis zu 30 % andere Leistungen (Bsp: ein Tischler verlegt auch Fliesen) erbrachten werden. Weiters werden künftig Gewerbeanmeldungen und Anträge auf Betriebsanlagengenehmigungen kostenfrei sein. Das Betriebsanlagenrecht soll überhaupt beschleunigt und vereinfacht werden. Bau-, Naturschutz-, Wasser- und gewerberechtliche Genehmigungen werden aus einer Hand kommen (One-Stop-Shop Prinzip) und die Verfahrensdauer wird verkürzt. Bescheide müssen spätestens nach vier Monaten, im vereinfachten Verfahren sogar spätestens nach zwei Monaten ausgestellt werden. Damit sei ein guter Kompromiss gefunden worden, der auch das hohe Ausbildungsniveau (Meisterprüfung) und das duale Ausbildungssystem (Lehrlingsausbildung durch Praxis und Berufsschule) nicht gefährde.

Fehlende Tourismuszonen in Wien
Zehetner kritisierte, dass es in Wien, anders als im restlichen Österreich, keine Tourismuszonen gebe, in denen Geschäfte auch am Sonntag geöffnet sein könnten. Es sei deprimierend, wenn man jeden Sonntag Touristen sehe, „die verzweifelt und erfolglos an Geschäftstüren rütteln und hier ihr Geld ausgeben, Arbeitsplätze schaffen und Steuern generieren wollen“ so Zehetner. Ruck gestand ein, dass auch die Wirtschaftskammer in der Vergangenheit hier bremsend tätig war. Man habe aber erkannt, dass hier rasch etwas geschehen müsse. Man sei in Verhandlungen mit den anderen Sozialpartnern und hoffe, dass man bald auch in Wien Tourismuszonen einführen könne.

Rüttelstrecke für Normen
In der Folge wurde erörtert, wie man mit der immer größeren Normendichte umgehen soll. Als Beispiel wurde das ab Mai 2018 geltende neue Datenschutzrecht genannt: Bei Verstößen würden Strafen in Höhe von bis zu 4 % des globalen Konzernumsatzes drohen. Die Beachtung der einzelnen Vorschriften ist für KMUs nur schwer bewältigbar. Es bestehe die Befürchtung, dass gerade Österreich, das durch eine große Zahl kleinerer Unternehmen geprägt ist, unter der zunehmenden Normierung besonders leiden werde. Größere Unternehmen könnten sich aufgrund größerer personeller Ressourcen auf die administrativen Vorgaben besser einstellen.

Werner Kogler verwehrte sich zunächst gegen den Begriff der Normenflut, plädierte aber sehr wohl dafür, dass man Gesetze „immer wieder auf eine Rüttelstrecke schicken“ müsse, um die einzelnen Vorschriften auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen. Nicht Zweckmäßiges müsse man wieder beseitigen.

Valerie Hackl betonte, dass sich auch Unternehmen selbst auf den Prüfstand stellen müssten, um bürokratische Hürden in den internen Abläufen abzubauen. Gerade durch die Digitalisierung ergeben sich hier viele Möglichkeiten zur Entlastung der Mitarbeiter. Bei den ÖBB nutzt man die Digitalisierung, um etwa Verwaltungstätigkeiten der Zugbegleiter zu automatisieren, damit diese mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit – die Betreuung der Fahrgäste – haben.

Optimierung von Regulierungen durch „Testlauf“ in der Praxis
Die Überprüfung im Sinne eines Rütteltests befürwortet auch Gottfried Haber, der aber zur Erhaltung der Rechtssicherheit vor ständigen Veränderungen warnte: „Oft ist es besser, einfach auch einmal nichts zu machen und erst später gesammelt nachzujustieren“. Haber führte auch die oft komplizierten Regelungen, insbesondere im Steuerrecht, auf mangelnden gesetzgeberischen Mut zurück. Anstelle der Abschaffung einer Begünstigung schaffe man lieber zur Kompensation eine neue. Schließlich seien dann oft aufgrund unterschiedlichster Bestimmungen alle begünstigt. Besser wäre es hier, die unterschiedlichsten Bestimmungen, die letztlich für alle zu einem ähnlichen Ergebnis führen, abzuschaffen und dafür den Steuertarif generell abzusenken.

Offene Diskussion bei Blick über Wien
Die Diskussion wurde schließlich mit den rund 130 Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik mit einem Blick über die Dächer Wiens intensiv weiter geführt.

www.kwr.at

Foto: beigestellt

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