Energierecht liegt vielfach im Dunkeln

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Dr. Raoul Hoffer
Dr. Raoul Hoffer

3. LIBERALISIERUNGSGESETZ. Im Bereich Energie herrscht schon jetzt eine Vielfalt an rechtlichen Beziehungen: Immer mehr Rechtsgebiete sind betroffen. Durch das 3. Liberalisierungspaket wird die Rechtslage noch komplexer für Unternehmen.

Bekanntlich ist der Sektor Energie weit gefächert und ständigem Wandel unterworfen. Letzterer ergibt sich nicht nur aus technischen Innovationen, wie z.B. im Bereich der alternativen Energien, sondern auch aus rechtlichen Neuerungen, die den Energiesektor in den letzten Jahren maßgeblich geprägt haben. Im Zentrum standen hier die jeweils auf EU-Ebene angestoßenen Liberalisierungsschritte, die schlussendlich in mehr Wettbewerb und somit günstigere Preise für die Endverbraucher münden sollten. Diese Änderungen wurden allerdings oftmals nur in kleinen Schritten und teilweise wenig klar in das bestehende energierechtliche Regelwerk eingeflochten. Zumal jedoch unternehmerisches Handeln im Zusammenhang mit Energie eine Mehrzahl an Rechtsverhältnissen voraussetzt, die oft nicht isoliert bestehen, sondern mitunter netzwerkartig zusammenhängen, ergeben sich bei jeder dieser Änderungen auch komplexe Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmer bzw. Endverbraucher. Dies konnte man z.B. anhand der Schwierigkeiten der Implementierung eines entsprechenden Ökostromregimes in den letzten Jahren gut beobachten. Die Übersichtlichkeit der Materie hat daher seit Beginn der Liberalisierung massiv gelitten, was nicht nur bei den Energieunternehmen oftmals hohen Aufwand verursacht, sondern schlussendlich auch die Endkunden (ob Unternehmer oder Konsument) vor schwierig zu lösende Fragen hinsichtlich ihrer Rechtsposition stellt.

UNTERSCHIEDLICHE RECHTSQUELLEN. Die Unübersichtlichkeit wird noch durch ein Nebeneinander mehrerer Rechtsquellen für ein und dieselbe Fragestellung verschärft. Es gibt hier z.B. für die Regelung von Elektrizitätsunternehmen neben Bundes-, Landes- und EU-Recht etwa auch noch Richtlinien und Marktregeln, die ineinandergreifen bzw. sich gegenseitig ergänzen.

NEUES ENERGIERECHT.
Diese unbefriedigende Situation wird wohl noch dadurch verschärft, dass Österreich bis spätestens März 2011 das sogenannte 3. Liberalisierungspaket der EU umsetzen muss. Damit kommt es im Strom- und Gassektor zu wichtigen rechtlichen Änderungen (Übersicht siehe Fact Box). Diese lösen bei fast allen Energieunternehmen einen mehr oder weniger großen Anpassungsbedarf aus.
Eine wesentliche Neuerung betrifft z.B. die Stärkung der Regulierungsbehörden. Zum einen wird eine Agentur auf EU-Ebene (ACER) eingerichtet. Diese hat nicht nur Monitoring- und Koordinierungsaufgaben betreffend die nationalen Regulierungsbehörden, sondern fungiert in gewissen Angelegenheiten auch als Entscheidungsinstanz.
Doch auch auf die nationalen Regulierungsbehörden (in Österreich derzeit die E-Control) kommen gravierende Änderungen zu. Diese werden z.B. zusätzliche Kompetenzen erhalten. Das betrifft u.a. die Umsetzungskontrolle des neuen Regelwerkes des 3. Liberalisierungspaketes, insbesondere der Entscheidungen der europäischen Behörden, aber auch die Verhängung bzw. Beantragung von Sanktionen (wie Wettbewerbsbehörden), etwa von Bußgeldern, wenn die Energieunternehmen ihren Verpflichtungen nicht nachkommen.
Neuerungen kommen ferner auf Übertragungsnetzbetreiber zu, welche für den überregionalen Transport von Energie sorgen. Da die bisher vorgeschriebene rechtliche und funktionale Entflechtung nicht für ausreichend erachtet wurde, sollen nun weitere Maßnahmen ergriffen werden. Dadurch erhofft man sich auf EU-Ebene mehr Transparenz, einen fairen Netzzugang für neue Anbieter sowie einen Anreiz für notwendige Investitionen. Österreich dürfte sich für das im EU-Recht vorgesehene ITO-Modell (unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber) entscheiden. Danach dürfen bestimmte Unternehmen keine Anteile am Übertragungsnetzbetreiber halten und auch diesem sind bestimmte Beteiligungen untersagt. Übertragungsnetzbetreiber müssen autonom und ausdrücklich Eigentümer des Netzes und sogar aller für den Netzbetrieb erforderlichen Vermögensgüter sein. Zudem haben sie selbst über das notwendige Personal zu verfügen. Bei Nichteinhaltung kann die Regulierungsbehörde einem Übertragungsnetzbetreiber sogar Aufgaben entziehen und einem unabhängigen Netzbetreiber übertragen.
Durch Erleichterungen des internationalen Strom- und Gashandels zielt das 3. Liberalisierungspaket auch auf eine stärkere Marktintegration ab. Dazu dient die verpflichtende Kooperation der Übertragungsnetzbetreiber und der Regulierungsbehörden, wodurch der Netzzugang verbessert und der Infrastrukturausbau angekurbelt werden sollen.
Eine weiterer Aspekt der neuen Regelungen soll direkt auf den Wettbewerb wirken, indem die EU-Mitgliedstaaten allgemein dazu angehalten sind, das Entstehen funktionierender und transparenter Endkundenmärkte durch die Festlegung entsprechender Marktregeln, insbesondere bzgl. der Vertragsabschlüsse mit Endkunden, zu fördern. Obwohl dies in Österreich schon weitgehend geschehen ist, wird hier wohl auch noch zusätzlicher Handlungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers gegeben sein.

BEDEUTUNG DES WETTBEWERBSRECHTS. Im Energiesektor kommt dem Wettbewerbsrecht eine besondere Bedeutung zu (sozusagen als „Gegengewicht“ zu der Liberalisierung). Neben der E-Control, die für die Wettbewerbsaufsicht über Marktteilnehmer und Netzbetreiber zuständig ist, sind daher in den letzten Jahren auch immer stärker die nationalen und europäischen Wettbewerbsbehörden auf den Plan getreten, zumindest wenn die Energieunternehmen marktmächtig sind. Das 3. Liberalisierungspaket ändert daran grundsätzlich nichts. Hier besteht weiterhin (und uU aufgrund der neuen Kompetenzen der E-Control sogar verstärkt) ebenfalls ein Nebeneinander verschiedener gesetzlicher Grundlagen und Behördenzuständigkeiten.

BEREINIGUNG.
Die Umsetzung des 3. EU-Liberalisierungspaketes in Österreich sollte daher zum Anlass genommen werden, das unübersichtliche Regelwerk im Energiebereich grundlegend neuzufassen und zu bereinigen. In diesem Zusammenhang sollte auch eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten der Regulierungsbehörden von den Wettbewerbsbehörden unter Verzicht auf Parallelitäten geschaffen werden. Angesichts der vielschichtigen (auch politischen) Interessenslage in diesem Bereich, ist jedoch mit einer derartigen umfassenden Tätigkeit des Gesetzgebers nicht zu rechnen.

Dr. Raoul Hoffer ist Rechtsanwalt und Partner bei Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH
hoffer@bindergroesswang.at, www.bindergroesswang.at

Foto / Redaktion: Walter J. Sieberer

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