OGH: Der ungerechtfertigte Abbruch von Verhandlungen löst Schadenersatzansprüche aus

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Ein Unternehmer hat Aufwendungen zur Markteinführung von Produkten eines Herstellers in Österreich in der Erwartung gemacht, mit diesem einen Vertriebsvertrag abschließen. Die Parteien haben intensiv Verhandlungen geführt, zum Abschluss eines Vertriebsvertrags kam es aber nicht. Der Unternehmer klagte daraufhin den Ersatz seiner Kosten ein, die er in der Erwartung eines Vertragsabschlusses getätigt hatte.

Der OGH führte aus, dass die bloße Weigerung, einen in Aussicht genommenen Vertrag abzuschließen, noch nicht verpflichtet, dem Verhandlungspartner einen allenfalls daraus erlittenen Schaden zu ersetzen. Nach herrschender Meinung ist nämlich niemand verpflichtet, einen Vertrag nur deshalb abzuschließen, weil er Vorverhandlungen bestimmten Inhalts geführt hat. Solange keine Einigung zustande gekommen ist, ist jeder Teil berechtigt, die Verhandlungen abzubrechen, und zwar auch dann, wenn durch die Nichteinigung einem Teil ein Schaden entsteht. Es gilt der Grundsatz: Solange der Vertrag nicht zustande gekommen ist, kann kein Partner darauf vertrauen, dass der andere den Vertrag abschließen wird, weshalb Aufwendungen im Hinblick auf einen in Aussicht genommenen Vertrag grundsätzlich auf eigenes Risiko vorgenommen werden.

Ausnahmsweise kann aber ein grundloses Abstehen vom Vertragsabschluss doch ersatzpflichtig machen kann, wenn gegenüber dem Verhandlungspartner Aufklärungs-, Schutz- und Sorgfaltspflichten bestehen. Solche bejaht der OGH, wenn erkennbar ist, dass der Partner im Vertrauen auf eine abgegebene Erklärung sich anschickt, selbst Verbindlichkeiten einzugehen. Angesichts der grundsätzlichen Handlungsfreiheit im Verhandlungsstadium müssen an einen Vertrauenstatbestand, der zu einer Haftung aus dem Rechtstitel der culpa in contrahendo führen kann, aber besondere Anforderungen gestellt werden, etwa dass sich der Schutzpflichtige selbst schon so verhält, als ob der Vertrag bereits abgeschlossen wäre, oder  den Vertragspartner auffordert, mit dem Erbringen der im künftigen Vertrag vorgesehenen Leistungen zu beginnen, oder dass er vom Verhandlungspartner ein Verhalten fordert, das nach den Begleitumständen nur im Hinblick auf einen Vertragsabschluss sinnvoll und gerechtfertigt ist oder den getätigten Dispositionen des Verhandlungspartners zustimmt. Die Rechtsprechung hat diese Tatbestände mehrmals im Begriff des „In-Sicherheit-Wiegens“ zusammengefasst. Die Ablehnung eines Vertragsschlusses nach Setzen eines Vertrauenstatbestands der angeführten Qualität muss dem Schutzpflichtigen zuzurechnen sein, etwa weil er den Vertragsabschluss grundlos verweigert, obwohl er sich bewusst sein muss, dass sein bisheriges Verhalten im anderen die sichere Erwartung des Vertragsabschlusses hervorgerufen hat. Wird weit über das normale Verhandlungsvertrauen hinaus Vertrauen des Verhandlungspartners zur eigenen Interessenverfolgung in Anspruch genommen, resultieren daraus Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem erkennbar vertrauenden Partner, und zwar auch dann, wenn noch keine Einigung auf den wesentlichen Inhalt des abzuschließenden Vertrags vorhanden ist, aber ein intensiver Vertrauenstatbestand gesetzt wurde. Das grundlose Abbrechen von Vertragsverhandlungen löst in diesen Fällen Schadenersatzpflichten aus, die all jene Aufwendungen erfassen, welche im Vertrauen auf den vermeintlich bevorstehenden Vertragsabschluss getätigt wurden.

OGH vom 21.04.2010, 7Ob41/10w

Dr. Christian Nordberg

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Foto: Walter J. Sieberer

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