Fluggastrechte online durchsetzen: Rechtsdienstleistung am Fliessband – Die Zukunft?

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Für Unternehmer ist es alltäglich, Arbeitsabläufe standardisieren, Verknüpfungen erstellen, Arbeitsbeschleunigungen entwickeln und umsetzen. Jetzt folgen die Rechtsanwälte.

Die Redaktion hat sich umgesehen und das interessante Projekt zweier Gründer mit einer Wiener Rechtsanwaltskanzlei, Ausgleichszahlungen für Flugverspätungen über eine Plattform im Internet zu vereinfachen, verfolgt.

REDAKTION: Herr Mag. Sernetz, wie wurde Ihre Geschäftsidee geboren?
ANDREAS SERNETZ: Mit meinem Partner, Herr Mag. Flandorfer, war ich vor etwa einem Jahr bei einer Geschäftsreise von einer Flugannullierung betroffen. Als Resultat waren wir stundenlang am Flughafen, von weiteren Informationen von der betroffenen Fluglinie keine Spur. Nach dem üblichen Hin und Her, wurden wir dann nach 12 Stunden Wartezeit umgebucht. Als Grund wurde uns ein beschädigtes Triebwerk genannt. So entstand die Idee Ausgleichsansprüche für Fluggäste online abzuarbeiten und die einfache Verfahrensweise und den rechtlichen Rahmen haben wir nun unter fairplane.net realisiert.
DR. ALEXANDER SKRIBE: In einem solchen Fall sieht die EU-Verordnung 261/2004 über die Rechte von Fluggästen im Falle einer großen Verspätung, Annullierung oder Überbuchung vor, dass dem Fluggast – neben Betreuungsleistungen (Getränke, Speisen etc.) – eine Ausgleichszahlung von bis zu EUR 600,– gebührt.
SERNETZ: Als wir versucht haben, unsere Ausgleichsleistungen bei der betroffenen Fluglinie einzufordern, mussten wir feststellen, dass nach Überwindung massiver Hürden, diese letztendlich nach monatelanger Bearbeitungszeit unsere Ansprüche mit einer fadenscheinigen Begründung ablehnten, obwohl unser Anspruch eindeutig war.

Durch dieses Verhalten der Fluglinie war unser Interesse geweckt. Unsere folgenden Recherchen haben ergeben, dass europaweit im Jahr bis zu 12. Mio Fluggäste Ansprüche auf eine Ausgleichsleistung hätten. Damit war die Idee für ein IT-Start-Up, welches Fluggästen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche unterstützt, geboren.

Herzstück der Web-Site fairplane.net bildet eine Datenbank von Flug-, Wetter- und Verfahrensdaten, in welcher die anspruchsrelevanten Daten gesammelt und über Schnittstellen unseren Vertragsanwälten zur Verfügung gestellt werden. Im Vordergrund unserer Idee steht die einfache Benutzung der Web-Site für die Passagiere. Wir haben die Datenbank samt Web-Site derart designt, dass der Fluggast nur Flugnummer, Flugdatum und seine Personaldaten eingeben muss; die restliche Arbeit übernimmt FairPlane und unsere Vertragsanwälte. Sind wir erfolgreich, erhalten wir ein pauschales Erfolgsentgelt; sonst entstehen dem Passagier keinerlei Kosten.

Als erste Vertragsanwälte konnten wir die Wiener Kanzlei Heinke. Skribe + Partner Rechtsanwälte GmbH, welche einerseits aufgrund deren Anwaltsstruktur den deutschen und österreichischen Markt für uns abdecken kann und andererseits dazu bereit und in der Lage war, unsere hohen technischen Herausforderungen zu erfüllen.

RED.: Herr Dr. Skribe, was waren die Herausforderungen die an Sie gestellt wurden?
SKRIBE: Aus rechtlicher Sicht bestand die Herausforderung darin, eine sehr große Anzahl individueller – aber gleichartiger – Ansprüche zu sammeln, zu organisieren und strukturiert zu betreiben. Darin liegt der Unterschied zu einem klassischen Inkasso-Mandat, bei dem ein Klient seine Zahlungsansprüche gegen eine Vielzahl von Personen geltend macht. Dabei erhalten wir die anspruchsrelevante Information aus einer Hand. Im vorliegenden Fall erhalten wir unsere Informationen von einer Vielzahl von Anspruchsberechtigten.
Von Anfang an war für uns klar, dass mit einer herkömmlichen Kanzleistruktur und Arbeitsprozessen, die an uns herangetragenen Anforderungen nicht zu erfüllen waren. Das Zauberwort lautete weitest gehende Digitalisierung der Akten und größtmögliche Automatisierung der anwaltlichen Bearbeitungsprozesse von der Mandatsbegründung, Mandatsbearbeitung und letztendlich Mandatsabrechnung und -beendigung. Dies war unbedingte Voraussetzung, um einerseits die zu erwartenden Fall-Mengen auf hohem anwaltlichen Niveau abzuarbeiten und dabei gleichzeitig kosteneffizient zu sein.

Unser Ziel war, unsere Juristen durch den maximalen Einsatz von Technik in die Lage zu versetzen, hunderte Akte gleichzeitig auf hohem Niveau zu bearbeiten, um so mit den Fluglinien und deren Juristen in einem doch sehr komplexen Rechtsgebiet auf Augenhöhe agieren zu können. Entwickelt hat dies bei uns Dr. Stephan Verdino.

RED.: Herr Dr. Verdino, wie erfolgte konkret die Umsetzung?
VERDINO: Eine zentrale Rolle für die Fallstrukturierung spielt die oben angesprochene Datenbank unseres Auftraggebers, die uns über eine Schnittstelle die anspruchsrelevanten Daten derart aufbereitet, ergänzt und strukturiert zur Verfügung stellt, dass die Akten in unserer Anwaltssoftware automatisch angelegt werden können. Hinter jedem einzelnen Akt stehen zahlreiche Daten, wie Flugnummer, Flugtag, geplante und tatsächliche Flugzeiten, die Entfernung, Passagierdaten, Daten der Fluglinien, Behörden etc., die in unsere Anwaltssoftware eingelesen und strukturiert werden, damit diese für die automatisierte Befüllung in unser selbst entwickeltes Formularsystem zur Verfügung stehen.
Skribe: Im Unterschied zur klassischen Akt für Akt Bearbeitung, arbeitet der Jurist in einem Formular mit komplexen Datenbank-Befehlen, wenn er Schreiben, Schriftsätze oder Klagen verfasst. Diese Formulare werden dann für die relevanten Akten verwendet und sind das erste Element einer automatisierten Aktenbearbeitung

RED.: Ist nicht eine triviale Angelegenheit, die jede Anwaltssoftware schon seit Jahren erfüllt?
VERDINO: In der Komplexität wie wir es für dieses Projekt benötigten, keineswegs. Wir mussten feststellen, dass es in Österreich einen einzigen Anbieter von Anwaltssoftware gibt, der unsere Grundvoraussetzungen erfüllt hat. In einem weiteren Schritt musste die Software sogar noch an unsere Anforderungen angepasst und erweitert werden.

Bei der Formularerstellung und damit verbundenen Prozessen lernt unser Softwarelieferant sogar bereits von uns. Darauf sind wir inzwischen auch ein bisschen stolz.

RED.: Wie erfolgt die weitere Anspruchsbetreibung?
SKRIBE: Nach der automatischen Aktanlage, der formellen Mandatsübernahme und der Kontrolle der Daten erfolgt die Vergabe der von uns definierten automatischen Betreibungsschemata. Das ist das zweite wesentliche Element unseres Konzeptes.

Nach Maßgabe der jeweiligen Betreibungsschemata erfolgt die Betreibung der Forderung durch die automatisierte Erstellung der jeweiligen Schreiben, Klagen oder Schriftsätzen in den verschiedenen Betreibungsschritten. Genau über diese Betreibungsschemata sind unsere Mitarbeiter in der Lage, hunderte Akten gleichzeitig durch schlichtes Setzen des jeweiligen nächsten Betreibungsschrittes zu bearbeiten.
Über ein Statussystem für die Akten sind unsere Juristen in der Lage, sich über sämtliche Akten einen jederzeit abrufbaren Überblick zu verschaffen und den Aktenverlauf durch die einzelnen Betreibungsschritte nachzuvollziehen und zu kontrollieren. Über das Statussystem erfolgt auch der Mandantenbericht, der für unsere Mandanten auch online abrufbar ist
Verdino: In Weiterführung des digitalen Aktes werden im Falle einer Gerichtsverhandlung die Akten auf das iPad des Juristen übertragen. Lediglich das Kostenverzeichnis wird noch ausgedruckt.

RED.: Ist das System auch für andere Ansprüche geeignet?
SKRIBE: Wir haben darauf geachtet, dass das von uns entwickelte System einer automatisierten Anspruchsbetreibung für jede Art von Massenansprüchen einsetzbar ist. Die Art des Anspruchs, sofern die Daten durch eine davor geschaltete Datenbank strukturiert übergeben werden, ist nahezu egal.

RED.: Danke für das Interview

www.heinke.at

Das Interview führte Mag. Walter J. Sieberer
Fotos: Walter J. Sieberer

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