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Zu den teilweise beachtlichen technischen Herausforderungen des Bauens tritt die Schwierigkeit, die gewünschte Bauleistung umfänglich und ausreichend zu beschreiben.
Diese Beschreibung soll dazu dienen, dass die Ausführung des Bauvorhabens ohne zusätzliche Auswirkungen auf Kosten und Zeit möglich ist.
Leistungsabweichungen nach Zuschlagserteilung gehören deshalb seit jeher zum kleinen Einmaleins der Beteiligten. Die von den Bauherren errichteten Bauverträge suchen derartige Mehrkosten und Bauzeitverlängerungen mit teils sehr harten Verträgen hintanzuhalten. Im Bereich der nach dem Bundesvergabegesetz ausgeschriebenen öffentlichen Aufträge wird die an sich gebotene unveränderte Heranziehung von vorhandenen Richtlinien („Normenbindung“) zum Nachteil der bietenden Unternehmen teilweise massiv umgangen. Gerade die einschlägigen ÖNORMEN werden teilweise regelrecht „ausgehöhlt“. Wie der Oberste Gerichtshof erst Ende 2013 in einem Urteil ausgesprochen hat, bedürfen diese Abweichungen keiner sachlichen Begründung.
Anspruchsverfristung
Die beiden Werkvertrags- ÖNORMEN sehen Regelungen vor, die den Unternehmern die Verpflichtung auferlegen, Ansprüche auf Mehrkosten und Bauzeitverlängerungen binnen bestimmter Fristen schriftlich anzumelden und ziffernmäßig bekannt zu geben. Hierbei wird zwischen Anmeldungen dem Grunde nach und Anmeldungen der Höhe nach unterschieden. Im Falle der Überschreitung dieser Fristen sehen die ÖNORMEN die Rechtsfolge der Verfristung der gegenständlichen Ansprüche vor.
Forderungsgrund
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass eine Anmeldeverpflichtung überhaupt erst entstehen kann, wenn der Unternehmer die Leistungsabweichung erkennen kann. Die Frage der Erkennbarkeit ist – gerade bei behinderten Leistungen (Leistungsverdünnungen etc.) – regelmäßig eine Sachverständigenfrage aus dem Fachbereich Bauwirtschaft/Baubetrieb. Selbst für den Fall, dass eine Anmeldung dem Grunde nach versäumt worden sein sollte, führt dies nach der Bestimmung der ÖNORM nur insoweit zu einem Anspruchsverlust, als die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bauherrn zu dessen Nachteil führt.
Forderungshöhe
Hat der Auftraggeber für den Fall, dass der Auftragnehmer die Forderungen der Höhe nach ohne ausreichende Begründung nicht rechtzeitig vorlegt, die Rechtsfolge des Anspruchsverlustes festgelegt, gilt, dass eine vom Auftraggeber ohne ausreichende Begründung verzögerte Überprüfung die Rechtsfolge einer Vertragsstrafe auslöst. Die Höhe der Vertragsstrafe errechnet sich auf Basis der gerechtfertigten MKF und des doppelten Verzugszinssatzes anstatt der Bauzinsen für den Zeitraum Ende der Nachfrist bis Übergabe der geprüften Mehrkostenforderung. Vor Eintritt der Rechtsfolgen ist eine angemessene Nachfrist einzuräumen. Ob eine „ausreichende Begründung“ vorliegt, ist wohl objektiv am Maßstab der beteiligten Verkehrskreise zu messen und wird ebenfalls regelmäßig eine Sachverständigenfrage darstellen. Was die Möglichkeit des AG betrifft, mehr oder weniger „einseitig“ einen Anspruchsverlust festlegen zu können, ist dies wohl unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit zu prüfen – vor allem wenn die Bewertung der Höhe nach zu diesem Zeitpunkt wegen im Gange befindlicher Bauarbeiten noch nicht oder nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich ist. In der Praxis ist zu diesem Punkt allerdings festzustellen, dass seitens der Auftraggeber sehr häufig eine „reflexartige“ Forderung nach zusätzlichen Unterlagen folgt. Die Auftragnehmer sollten sich im Einzelfall gut überlegen, ob sie einem solchen „Alibiersuchen“ stets unkritisch nachkommen. Das Nachliefern von „für die Prüfung erforderlicher Unterlagen“ bedeutet auch, dass zum Zeitpunkt der Ersteinreichung keine ausreichenden Unterlagen vorhanden waren.
Verschärfung
Auch Besondere Bedingungen können eine Verschärfung der Verfristungsbestimmungen bedeuten. Die genannten Bestimmungen sind – mit etwas Willen für die Lage der budgetgeplagten institutionellen Bauherren – durchaus nachvollziehbar und „lebbar“. Das Instrument der Partnerschaftssitzungen, die von der ÖNORM vorgesehen sind, ist in vielen Fällen durchaus geeignet, anstehende Probleme zeitnah und gütlich auf der Baustelle zu lösen. Allerdings – und dies ist mit zunehmender Tendenz – ebenfalls festzustellen, werden die vom Normengeber teilweise mühsam in paritätisch besetzten Ausschüssen entwickelten Regeln durch Besondere Vertragsbedingungen der Bauherren derart umfangreich abgeändert, dass von den an sich fairen Normbedingungen kaum etwas übrig bleibt. Ein juristischer Spießrutenlauf ist die logische Konsequenz. Allenthalben aufgeworfene Verfristungsbehauptungen der Auftraggeber verschieben die an sich anstehenden Themen dann auf die berühmte lange Bank.
Redaktion und Foto: Walter J. Sieberer
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