INTERVIEW. Mehr Rechte für Bürger und NGOs, weniger für Amtsparteien! Und: Neue EU-Umweltgrundrechte?
Man Fragt fragt nach bei zwei Experten für Industrieanlagen- und Verfassungsrecht, Dr. Wilhelm Bergthaler und Dr. Kerstin Holzinger von Haslinger, Nagele und Partner.
Im österreichischen Umweltrecht weht künftig ein schärferer Wind. Gleich von mehreren Seiten kommt Druck: neue Entscheidungen des VfGH, Forderungen der EU und von UN-Gremien. Wird das Klima für Unternehmer und Investoren härter? Das Wirtschaftsblatt fragt nach bei Experten für Industrieanlagen- und Verfassungsrecht, Dr. Wilhelm Bergthaler und Dr. Kerstin Holzinger.
Im österreichischen Umweltrecht weht künftig ein schärferer Wind. Gleich von mehreren Seiten kommt Druck: neue Entscheidungen des VfGH, Forderungen der EU und von UN-Gremien. Wird das Klima für Unternehmer und Investoren härter? Das Wirtschaftsblatt fragt nach bei Experten für Industrieanlagen- und Verfassungsrecht, Dr. Wilhelm Bergthaler und Dr. Kerstin Holzinger.
Redaktion: Was bedeuten die neuen Entscheidungen für Industrieanlagen in Österreich konkret?
DR. BERGTHALER: Spannend ist die VfGH-Entscheidung zur sog. „emissionsneutralen Änderung“. Unter diesem Titel waren bislang viele Modernisierungs- und Ausbaumaßnahmen, wenn sie die Emissionsbilanz des Standorts nicht verschlechtert haben, der Behörde nur anzuzeigen. Ohne Kundmachung, ohne Beiziehung von Nachbarn, ohne Warten auf die Genehmigung. Damit ist es nun vorbei, den Nachbarn muss – so der VfGH – ein Mitspracherecht dazu eingeräumt werden, ob sich für sie wirklich nichts verschlechtert.
Redaktion: Das heißt, die Verfahren für Neuinvestitionen werden länger! Ein schlechtes Signal für den Wirtschaftsstandort in ohnehin schweren Zeiten?
DR. BERGTHALER: Die Gleichung – mehr Parteien, längeres Verfahren – ist zwar naheliegend, aber nicht zwingend! Nur weil den Betroffenen Mitspracherechte eingeräumt werden, muss ja nicht ewig verhandelt werden. Das Gesetz lässt genügend Raum für ein straffes Zeitmanagement; da fehlt‘s eher – auch wenn der Hinweis jetzt unpopulär ist – an Ressourcen in der Verwaltung.
DR. HOLZINGER: Und: Man muss die Judikatur des VfGH hier in der gesamten Breite sehen: ich weise etwa darauf hin, dass der VfGH die Berufungsrechte mancher Amtsparteien gekappt hat. Früher beim Naturschutzbeauftragten, gerade jetzt beim wasserwirtschaftlichen Planungsorgan. Der VfGH sagt glasklar: Es ist unzulässig, wenn ein und derselben Behörde im gleichen Verfahren sowohl Entscheidungskompetenz zukommt, als auch die Befugnis, öffentliche Interessen als Amtspartei wahrzunehmen. Das führt zu einem unauflöslichen Rollenkonflikt.
Redaktion: Kurz: Aus für die Amtsparteien?
HOLZINGER: Nein, so weit geht‘s nicht. Aber mit der Doppelstellung der Landeshauptleute – wenn sie mit der rechten Hand entscheiden und mit der linken dagegen berufen – ist‘s vorbei.
BERGTHALER: Insgesamt betrachtet geht es daher weniger um einen generellen Ausbau als um eine Akzentverschiebung der Parteirechte: Mehr direkte Beteiligung für die Betroffenen und – das fordern EU und UN-Aarhus-Komittee – für NGOs; eine bloß mittelbare Interessenvertretung durch Amtsorgane kann das nicht ersetzen.
Redaktion: Das heißt also, das Verfahren spitzt sich zu: Betrieb gegen Bürger und NGOs.
HOLZINGER: Diese Tendenz ist nicht zu leugnen; Umweltverfahren werden kontradiktorischer, gerichtsförmiger. Zudem wird mit den neuen Verwaltungsgerichten wohl auch ein Stück neue Verfahrenskultur einziehen.
BERGTHALER: Die Verfahren werden damit – das ist wichtig für den Zeitfaktor – auch straffer führbar. Eine Verhandlung muss, bei allem Respekt, keine Debattierstube sein.
Redaktion: Wie verhält es sich mit der neuen EU-Grundrechtecharta? Der VfGH misst ja auch dieser erhöhte Bedeutung zu. Die Charta enthält bekanntlich auch ein Bekenntnis zum Umweltschutz – gibt es jetzt ein „Grundrecht auf Umweltschutz“?
HOLZINGER: Das angesprochene Erkenntnis des VfGH ist tatsächlich bahnbrechend, weil der VfGH erstmals Unionsrecht als Prüfungsmaßstab in Verfahren über Bescheidbeschwerden und Normenkontrollverfahren anerkennt; allerdings beschränkt auf jene Bestimmungen der Charta, die als „Rechte“ ausgestaltet sind und in Formulierung und Bestimmtheit den in der österreichischen Verfassung und der EMRK verankerten Grundrechten gleichen. Die neben solchen „Rechten“ in der Charta enthaltenen „Grundsätze“ sind dagegen kein Prüfungsmaßstab. Das erwähnte Bekenntnis der Charta zum Umweltschutz ist aber nur ein solcher „Grundsatz“. Der VfGH hat ausdrücklich klargestellt, dass Art 37 GRC, der sich auf den Umweltschutz bezieht, als bloßer Grundsatz nicht Prüfungsmaßstab sein soll. Ein generelles „Grundrecht auf Umweltschutz“ gibt es daher nach wie vor nicht.
Redaktion: Danke für das Interview
Foto: Walter J. Sieberer
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