Unternehmensanleihen – Das Bessere ist der Feind des Guten

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Unternehmensanleihen erfreuen sich immer stärkerer Beliebtheit. Und das mit gutem Grund: die Finanzkrise hat sonstige Kreditquellen versiegen lassen, Investoren sind auf der Suche nach attraktiven Schuldnern mit Realwerten. Beim Produkt „Anleihe“ gibt es aber noch juristischen Aufholbedarf.

Run auf Corporate Bonds. Der Boom mag sich in letzter Zeit etwas abgekühlt haben, aber bis Ende 2009 konnten gar nicht genug Unternehmensanleihen emittiert werden, um den Hunger der Investoren zu stillen. Noch immer ist eine rege Emissionstätigkeit zu verzeichnen, und die Aussichten auf Basel III mit strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für Banken lässt nicht gerade Euphorie für Kreditfinanzierungen aufkommen. Der Kapitalmarkt wird daher auch für Unternehmen, die bisher den Zugang zu dieser Finanzierungsquelle gescheut haben, nicht nur interessanter, sondern möglicherweise sogar unabdingbar.

Bankenanleihen weiter gefragt. Ihre Primärmittel bringen die Banken durch Spareinlagen und Bankschuldverschreibungen auf. Wenn die Bundeshaftung für die Spareinlagen wegfällt oder reduziert wird, könnten vor allem besicherte Bankenanleihen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Denn dass Banken unsinkbare Schiffe sind, glaubt zumindest derzeit niemand mehr. Die gesetzlichen Grundlagen für fundierte Bankschuldverschreibungen, also mit einem Deckungsstock besicherte Anleihen, gehen auf die Monarchie, nämlich das Jahr 1905, zurück, für Pfandbriefe ins Jahr 1927.

Angriffe auf Anleihenklauseln.
Über die vielen Jahre der Emissionstätigkeit haben sich gewisse Klauseln eingespielt, die in jüngster Zeit nicht mehr von allen akzeptiert werden. Verbraucherschutzorganisationen haben auch Anleihebedingungen, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen gelten, aufs Korn genommen. So gibt es mittlerweile ein leider auch letztinstanzliches Urteil vom September letzten Jahres, in dem der OGH unter anderem die Zahlstellenklausel, Kündigungsbestimmungen und die kollektive Bindung von Gläubigerversammlungen in der Anleihe eines Finanzdienstleisters als gesetzwidrig eingestuft hat. Und zwar als gröblich benachteiligende Bestimmungen, sodass sie nicht nur gegenüber Konsumenten, sondern wahrscheinlich generell ungültig sind. Dass die Zahlstellenklausel, nach der die Zahlung an die vom Emittenten ausgewählte Zahlstelle schuldbefreiend sein soll, gekippt wurde, ist noch einsichtig. In der Tat ist die Überwälzung des Ausfallsrisikos der Zahlstelle (heutzutage sind Banken keine sicheren Häfen mehr) auf den Investor unfair und nicht zu rechtfertigen. In der Praxis wird diese Klausel auch in abgeschwächter Form verwendet, nämlich, dass erst die Zahlung an das „Clearing System“ schuldbefreiend sein soll. Das Clearing-System ist ein von den Zentralverwahrern der Wertpapiere betriebenes Abwicklungssystem, bei dem ein Zahlungsausfall praktisch auszuschließen ist.

Unverständlicher ist die Aberkennung von Kündigungsklauseln, auch wenn sie nur einseitig dem Emittenten zustehen. Formal mag dies wie eine einseitige Bevorzugung erscheinen, die im Widerspruch zum Konsumentenschutz steht. Wirtschaftlich wird aber diese Kündigungsmöglichkeit in die Bepreisung der Anleihe hinein gerechnet (sogenannte „Callable Bonds“). Ein Verbot würde eine ganze Kategorie von Anleihen rechtlich unmöglich machen, die wirtschaftlich durchaus Sinn haben. Da solche Anleihen international durchaus üblich sind, würde der österreichische Markt von solchen Produkten abgeschnitten sein, obwohl sie sicherlich keine „giftigen Papiere“ sind.

Falsch verstandener Konsumentenschutz.
Überhaupt dürfte der Konsumentenschutz manchmal übers Ziel schießen. Es soll hier keineswegs dem Tarnen und Täuschen und falschen Suggerieren von Sicherheit das Wort geredet werden. Aber es bleibt zu unterscheiden, ob das Produkt oder die Beratung fehlerhaft ist, und wenn es das Produkt nicht ist, muss es auch nicht verboten werden. Außerdem wird zumeist übersehen, dass Konsumentenschutz nicht gratis ist, nur merkt der Einzelne die Kosten nicht, weil sie auf alle verteilt werden.
Ein Beispiel ist das falsch verstandene Gebot der „Symmetrie“ bei der Ausgestaltung von Finanzprodukten. Obwohl die Gerichte dem Investor zumuten, dass er die Grundrechnungsarten beherrscht und die Regel „Punktrechnung vor Strichrechnung“ kennt, muss er schon die Tatsache, dass bei einer Multiplikation mit Null das Ergebnis auch immer Null ist, nicht mehr gegen sich gelten lassen. Dies war nämlich die Formel bei einer als unzulässig eingestuften Zinsklausel, weil damit die Verzinsung für den Anleger für die Restlaufzeit auf Null gesetzt wurde. Unbeachtet bleibt bei einer solchen rein formalen Betrachtung, dass es gewisse Finanzprodukte gibt, die schon von der Konzeption asymmetrisch sind: bei Knock-Out Zertifikaten oder Caps und Floors ist von vorneherein ausgeschlossen, dass beide Seiten an Zins- oder Kursentwicklungen gleichmäßig mitziehen. Sie zu verbieten, hieße das Kind mit dem Bad auszuschütten. Dass die Beratung da mithalten muss, steht auf einem anderen Blatt.

Kollektive Bindung von Beschlüssen der Anleihegläubiger.
International üblich sind auch sogenannte „Collective Action Clauses“, nach denen gewisse Gläubigermehrheiten Änderungen von Anleihebedingungen erreichen können. Dies ist nach derzeitigem österreichischem Recht nicht möglich, weil dafür ein Abweichen von den gesetzlichen Bestimmungen über Gläubigermehrheiten erforderlich wäre, was als gröblich benachteiligend eingestuft wird. Auch das Kuratorengesetz aus 1874 bietet keine ausreichende Handhabe für die Änderung von Bedingungen.

Kuratorengesetz: alt aber nicht mehr gut. Mit dem Kuratorengesetz aus 1874 war Österreich ein Vorreiter zur Modernisierung des Anleihenrechtes. Dieses Gesetz war Vorbild für Regelungen in vielen anderen Ländern, unter anderem für das deutsche Schuldverschreibungsgesetz von 1899, das aber nun nach gut 100 Jahren novelliert wurde. Ein zentraler Punkt dieser Novelle ist die Neuregelung der Beschlüsse mit kollektiver Bindung, welche vor allem Umschuldungen und Restrukturierungen von Anleihen (= Änderung der Verzinsung, Laufzeit, Sicherheiten) erleichtern sollen. Vor allem hätte der Anleiheschuldner auch einen zentralen Ansprechpartner, der ihm derzeit nicht zur Verfügung steht. Ein Anliegen, das gerade in Zeiten der Finanzkrise nicht von der Hand zu weisen ist.  Nach mehr als 130 Jahren wäre es durchaus angebracht, auch an eine Novellierung des österreichischen Gesetzes zu denken. Einerseits um den Anschluss an internationalen Standards nicht zu verpassen und andererseits um ein totes Recht zu seiner ihm gebührenden Geltung auferstehen zu lassen.

Neues Anleihenrecht. Diese Gelegenheit sollte gleich dazu genutzt werden, auch Klarheit über die Anwendbarkeit der Regelungen über allgemeine Geschäftsbedingungen und des Konsumentenschutzes auf Anleihebedingungen abschließend zu regeln. Da Anleihen in ihren Bedingungen nicht zwischen Unternehmern und Konsumenten als Investoren unterscheiden (können), kann es hier nur eine einheitliche Regelung geben. Der volle Konsumentenschutz wäre sicherlich überzogen, auch wäre eine Abstimmung mit dem Prospektrecht sinnvoll (z.B. dürfen Prospekte ausschließlich in Englisch verfasst sein, die Klauseln nicht unbedingt). Das in der deutschen Neuregelung des Schuldverschreibungsgesetzes enthaltene Transparenzgebot, das den „Durchschnittsinvestor“ (=Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist) schützen soll, ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Wegen der zusätzlichen Unsicherheiten, die eine solche Regelung mit sich bringt, wäre ein Ausweichen auf fremde Rechtsordnungen, die in dieser Frage mehr Rechtssicherheit bieten, eine logische Folge.
Nationale Bemühungen zur Novellierung des Anleihenrechts haben den Schönheitsfehler, dass sie letztlich nationales Flickwerk bleiben. Der Ruf nach einer Regelung aus Brüssel kommt oft viel zu früh. Aber im Kapitalmarktrecht haben sich EU-weite Standards im großen und ganzen bewährt. Dies sollte aber Österreich nicht davon abhalten, ein sinnvolles Anleihenrecht möglichst bald umzusetzen – es könnte ja ein Vorbild für ein EU-Regelung werden, statt dass Österreich EU-Vorschriften, oft noch dazu als Musterschüler überschießend, nachvollzieht.

Tibor Fabian ist Partner und Rechtsanwalt der Binder Grösswang Rechtsanwälte GmbH.
Er ist spezialisert auf Bankenrecht und Finanzierungen.
fabian@bindergroesswang.at

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