Hochkarätige Podiumsdiskussion bei DORDA BRUGGER JORDIS

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Kolonovits, Holzinger, Zinkl, Schoen und Mueller
Dieter Kolonovits, Gerhard Holzinger, Werner Zinkl, Rosemarie Schön und Bernhard Müller

Über „Gesetzesbeschwerde Neu“ diskutierten die Präsidenten des VfGH, der Richtervereinigung, des VwG Wien, die Leiterin der WKÖ-Abteilung für Rechtspolitik und DORDA-Partner Bernhard Müller.

Kaum ein Rechtsbehelf wurde so kontroversiell diskutiert wie die Gesetzesbeschwerde. Was es bei Bescheiden schon seit 1975 gibt, wird ab 2015 auch in der Justiz möglich: sich gegen verfassungswidrige Gesetze und gesetzwidrige Verordnungen zur Wehr zu setzen. Parteien eines Zivil- oder Straf-Verfahrens können nun von sich aus Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder gegen die Gesetzmäßigkeit einer Verordnung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Ist dies nun Revolution des Rechtsschutzes oder Instrument zur Verfahrensverzögerung? Darüber debattierte am 12.11.2014 im Rahmen der Podiumsdiskussion „Gesetzesbeschwerde Neu“ bei DORDA BRUGGER JORDIS eine hochkarätige Expertenrunde, nämlich Gerhart Holzinger, Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), Werner Zinkl, Präsident der Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter (Richtervereinigung) , Dieter Kolonovits, Präsident des Verwaltungsgerichtes Wien (VwG Wien), Rosemarie Schön, Leiterin der Abteilung für Rechtspolitik der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), und Bernhard Müller, Partner und Leiter des Teams „Öffentliches Recht“ bei DORDA BRUGGER JORDIS. Wirtschaftsredakteurin Judith Hecht von der „Presse“ moderierte die Podiumsdiskussion.

„Heiß umfehdet – wild umstritten“, so beschreibt Bernhard Müller in seinem Eingangsstatement die Entwicklungsgeschichte der „Gesetzesbeschwerde“. Denn, so Müller, „die Höchstrichter des OGH und des VwGH fürchteten ihre ‚Entmachtung‘ durch den ‚Richterkönig‘ VfGH. Dabei setzt die Gesetzesbeschwerde nur konsequent einen Weg fort, der bereits 1975 mit der Einführung des Individualantrags gegen verfassungswidrige Gesetze und gesetzwidrige Verordnungen sowie der Ausweitung der Bescheidbeschwerde des Art 144 B-VG auf rechtswidrige generelle Normen begonnen wurde.“ Laut Müller ist die Einführung der Gesetzesbeschwerde auch in Österreich eine längst überfällige Reform, welche die überkommene Vorstellung überwindet, der Bürger müsse gegen Fehlentscheidungen unabhängiger Richter über die Rechtswidrigkeit genereller Normen nicht geschützt werden. Dies könne spätestens seit der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz nicht mehr aufrechterhalten werden, meint Müller.

VfGH-Präsident Gernhart Holzinger begrüßt das „neue Rechtsschutzinstrument vom Standpunkt der Grundrechte des Einzelnen mit Nachdruck. Ist doch damit die Initiative zur Prüfung der Rechtmäßigkeit genereller Normen auch in Fällen der Rechtsverfolgung vor den ordentlichen Gerichten nicht länger ‚mediatisiert‘, sondern in die Hände der Rechtsschutzsuchenden gelegt“, so Holzinger, „und das ist – aus rechtsstaatlicher Sicht – gut so!“ Für Holzinger ist „die – nur historisch erklärbare – Art der Differenzierung zwischen dem Verwaltungsrecht einerseits und dem Justizrecht andererseits längst überholt und auch im internationalen Vergleich singulär. Mit der Schaffung der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu Beginn dieses Jahres – einem epochalen Schritt der Verfassungsreform! – hat sie jede innere Berechtigung verloren“, meint Holzinger.

Hingegen sieht Richtervereinigungs-Präsident Werner Zinkl keine Notwendigkeit für ein derartiges Gesetz, er hält „die vorliegenden Bestimmungen zum ‚Parteiantrag auf Normenkontrolle‘ für nicht ausreichend koordiniert. Das führt zu Verzögerungen, Verunsicherung und Verteuerung“, warnt Zinkl.

Der Präsident des VwG Wien, Dieter Kolonovits, sieht im Parteiantrag auf Normenkontrolle „eine wichtige Einrichtung des Grundrechtsschutzes in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einen großer Erfolg für die Rechtsschutzentwicklung der Bundesverfassung“. Er merkt an, dass zwar Verwaltungsgerichte von diesem neuen Instrument weniger betroffen seien, weil für sie ein anderes Rechtsschutzsystem verwirklicht sei: einerseits der ‚klassische‘ Antrag auf Normenkontrolle durch die Verwaltungsgerichte selbst und andererseits die Erkenntnisbeschwerde durch die Parteien, mit der eine Verletzung der Grundrechte durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes direkt aufgegriffen werden kann.“ Problematisch erscheinen Kolonovits jedoch manche der Ausnahmetatbestände, beispielsweise die Ausnahme der außerstreitigen mietrechtlichen Verfahren und Verfahren der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.

Rosemarie Schön, Leiterin der WKÖ-Abteilung für Rechtspolitik, sieht zwar in der Gesetzesbeschwerde eine „sicherlich begrüßenswerte Ausweitung des Rechtsschutzes“, befürchtet aber – ähnlich wie Richtervereinigungs-Präsident Zinkl – dass damit „Verfahren vor den ordentlichen Gerichten auch verzögert werden können. Sorge der Wirtschaft ist, dass seitens des Gesetzgebers zu wenig unternommen wurde, um möglichen Verfahrensverschleppungen wirksam zu begegnen. Jedenfalls hätten auch die Verfahrensgesetze ohne wesentlichen Mehraufwand klarer formuliert werden können, z.B. was es konkret bedeutet, dass die Rechtsmittel und Beschwerde gleichzeitig einzubringen sind“, so Schön. Denn wesentlich für den Wirtschaftsstandort seien auch Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Ob sich dieses neue Instrument im Verhältnis zu dem allenfalls nur gefühlten Mehrwert einer erhöhten Rechtssicherheit auszahlt, werde die Praxis weisen, sagt Schön.

Laut Bernhard Müller ist die Einführung der Gesetzesbeschwerde unbedingt zu begrüßen. Doch sei ihre konkrete Ausgestaltung – pointiert formuliert – „ein juristischer ‚Super-Gau‘ in inhaltlicher und prozessualer Sicht“. Müller begründet dies damit, dass die einfachgesetzlichen Ausführungsvorschriften zum Einen verfassungswidrig seien, „weil sie die Parteienbeschwerde entgegen den klaren verfassungsmäßigen Vorgaben und dem Willen des Verfassungsgesetzgeber gleichzeitig mit dem Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil einzubringen ist, mithin unzulässigerweise Parteienidentität zwischen dem Berufungswerber und dem Antragsteller der Gesetzesbeschwerde verlangt; denken sie an den Berufungsgegner, der von einer abweichenden zweitinstanzlichen negativ betroffen sein könnte, aber keine Gesetzesbeschwerde einbringen kann.“ Kritik äußert Müller auch aus verfahrensökonomischer Sicht: „Die Ansiedlung der Gesetzesbeschwerde nach der erstinstanzlichen Entscheidung wird Querulanten anziehen und zu vermeidbaren Verfahrensverzögerungen führen. Müsste unser sogenannter „Querulant“ bei vollem Kostenrisiko bis zum OGH ‚marschieren‘, so würde er sich dies – wie gerade gesagt: eben aufgrund der Kosten – zweimal überlegen. Nun wird ihm die Gesetzesbeschwerde quasi gemeinsam mit dem erstinstanzlichen Urteil ‚auf dem Silbertablett serviert‘.“

Auch die Gäste der Veranstaltung beteiligten sich lebhaft an der Diskussion, die auch im Anschluss bei Drinks und Fingerfood weitergeführt wurde. Mit dabei waren u.a. Walter Barfuß vom Austrian Standards Institute, Otto Stummer von der OMV AG, Thomas Strobl von Hutchison Austria, Magdalena Gollé von Verbund Hydro Power, Prof. Gerhart Wielinger von der Karl-Franzens-Universität in Graz, Ministerialrätin Sylvia Paliege-Barfuß vom Wirtschaftsministerium, Ministerialrätin Jutta Raunig vom Finanzministerium, Ministerialrat Hermann Götsch vom Lebensministerium und Alfred Heiter von der Industriellenvereinigung.

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Fotos: beigestellt

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