Neue Entscheidungen zu Mietverträgen

801

Wackeln nun auch Mietererhaltungspflichten bei Geschäftsraummieten?  Fast fünf Jahre sind ins Land gezogen, seit der Oberste Gerichtshof in zwei Entscheidungen unter anderen die Überbindung der Erhaltungspflicht auf den Mieter als unzulässig beurteilt hat.

Die Abbedingung oder Überwälzung der gesetzlichen Erhaltungspflicht des Vermieters (geregelt in  § 1096 ABGB), sei ein im Verbrauchergeschäft unwirksamer Gewährleistungsausschluss. Viel wurde geschrieben und judiziert. Im Vollanwendungsbereich des MRG wurde auf die Grenzen der Erhaltungspflicht des Vermieters gemäß § 3 MRG gepocht.  Er hat nur die allgemeinen Teile des Hauses zu erhalten, ernste Schäden des Hauses im einzelnen Mietgegenstand zu beheben und erhebliche vom Mietgegenstand ausgehende Gesundheitsgefährdungen zu beseitigen. Auch der Mieter ist zur Instandhaltung gemäß § 8 MRG nur eingeschränkt verpflichtet. Es besteht also im Vollanwendungsbereich des MRG ein Graubereich, in welchem zunächst weder Vermieter noch Mieter erhaltungspflichtig ist – eine Pattsituation, die bis heute nicht hinreichend geklärt ist.

WENDE. Während die ersten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vornehmlich das Konsumentenschutzgesetz bemühten, um Erhaltungspflichten von Mietern zu Fall zu bringen, änderte sich die Judikatur seit letztem Jahr dahingehend, dass als maßgebender Prüfungsmaßstab der § 879 Abs 3 ABGB herangezogen wurde. Demnach ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt. In der Entscheidung 6 Ob 104/09a wurde damit eine Endrenovierungsverpflichtung eines Wohnungsmieters zu Fall gebracht. § 879 Abs 3 ABGB will vor allem den Missbrauch der Privatautonomie durch Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen seitens eines typischerweise überlegenen Vertragspartners, vor allem bei Verwendung von AGB, bekämpfen.

FÄLLE. Die wichtigste Fallgruppe sind Verschlechterungen der Rechtsposition des Vertragspartners des Verwenders von AGB durch Abweichungen vom dispositiven Recht. Bei der Inhaltskontrolle von AGB ist eine Orientierung am dispositiven Recht als dem Leitbild eines abgewogenen und gerechten Interessenausgleichs geboten. Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt eine gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners dann vor, wenn sie unangemessen ist. Für die Anwendung des § 879 Abs 3 ABGB macht es keinen Unterschied, ob sich die Regelung in separaten AGB oder in Vertragsformblättern befindet. Auch der äußeren Form nach individuell gestaltete Vereinbarungen können in Wahrheit AGB beinhalten. In allen diesen Fällen liegt typischerweise eine besondere Ungleichgewichtslage zwischen den Parteien vor, der § 879 Abs 3 ABGB Rechnung tragen will. Gleiches gilt für vergleichbare Konstellationen wie die Verwendung einseitig vorformulierter individueller Vertragstexte, weil der unterlegene Partner sich hier in derselben Situation befindet wie bei Verwendung von AGB durch den strukturell überlegenen Partner. In der Entscheidung 6 Ob 81/09v beurteilte der OGH die in einem Vertragsmuster enthaltene Erhaltungspflicht samt Verpflichtung zur Beibringung von sämtlichen Wartungsnachweisen des Mieters in Bezug auf eine Heizung als gröblich benachteiligend. Dies könne als weitgehende einseitige Abweichung vom dispositivem Recht, das für den „Durchschnittsfall“ eine ausgewogene, gerechte Rechtslage anstrebt, unter den besonderen Verhältnissen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Hinblick auf die hier typischerweise bestehende „verdünnte Vertragsfreiheit“ des Kunden nicht toleriert werden. Und die jüngst ergangene OGH-Entscheidung 2 Ob 73/10i schlägt in die gleiche Kerbe. Eine Überwälzung unbestimmter Erhaltungspflichten, bei denen das „Ob“, „Wann“, oder „Wieviel“ nicht feststehe, sei als Nebenbestimmung zu qualifizieren und fällt somit unter die Inhaltskontrolle iSd § 879 Abs 3 ABGB. Ob eine gröbliche Benachteiligung vorliegt, hängt im Sinn eines beweglichen Systems einerseits vom Ausmaß der objektiven Äquivalenzstörung und andererseits vom Grad der „verdünnten Willensfreiheit“ des benachteiligten Vertragspartners ab, wobei eine umfassende Interessensabwägung vorzunehmen ist. Die generelle Überwälzung der Erhaltung des Mietgegenstandes sei zweifellos als gröblich benachteiligend zu erachten, meint der OGH.

GRÖBLICHE BENACHTEILIGUNG. Die genannte Inhaltskontrolle ist jedoch nicht nur zwischen Verbrauchern und Unternehmern anzuwenden, sondern gilt auch bei Vertragsverhältnissen zwischen Unternehmern. Auch hier ist für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine umfassende Prüfung der Interessen der Vertragsparteien vorzunehmen. Dabei kommt es auf die sachliche Rechtfertigung und den Grund für eine Abweichung von der Gesetzeslage genauso an, wie auf die Möglichkeiten des Vertragspartners, die Vertragsgestaltung zu beeinflussen. Bei einer besonders gravierenden Ungleichgewichtslage sind auch zwischen Unternehmern geltende AGB, Formblätter oder vorformulierte Verträge unzulässig. Im Einzelfall können etwa Nachteile auch durch vorteilhafte Bestimmungen ausgeglichen werden.

IM FADENKREUZ. Wenn Geschäftsraummieten in den letzten Jahren noch nicht im Visier der Kritik standen, so mag sich das aufgrund der jüngsten Judikatur schlagartig ändern. Geprüft werden Mietvertragsklauseln nicht mehr nur unter dem Regime des Konsumentenschutzrechtes, sondern nach dem Maßstab der auch zwischen Unternehmern geltenden gröblichen Benachteiligung des § 879 Abs 3 ABGB. Genauso wie bei Wohnungsmietverträgen werden bei Abschluss der meisten Verträge über Geschäftsraummieten seitens der Vermieter Vertragsmuster oder vorformulierte Vertragsklauseln verwendet. Nicht nur bei Centerverträgen stehen sich oft ein überlegener Vermieter und unterlegener Mieter gegenüber. Mietvertragsklauseln, insbesondere meist umfassendste Erhaltungspflichten, müssen schlichtweg geduldet werden, um an das Mietobjekt zu gelangen. Nichtigkeit dieser Klausel droht! Ein Ausweg für den Vermieter ist die konkrete Verhandlung der jeweiligen Klauseln. Die Geltung muss gegen Verzicht auf andere Bestimmungen abgetauscht werden. Wird zB der Mietzins günstiger, wenn der Mieter die Erhaltung seines Objektes übernimmt, ist eine Nichtigkeit der Erhaltungsverpflichtung abgewendet.

Rechtsanwältin
Dr. Manuela Maurer-Kollenz
Rechtsanwaltsanwärter Mag. Johannes Lindner
Fiebinger Polak Leon Rechtsanwälte
www.fplp.at

 

Flower