Raus gemobbt – Wenn der Arbeitskollege zum Feind wird

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Einer Studie der Dublin Stiftung zu Folge hatten im letzten Jahr 12 Millionen Menschen – dies entspricht einem Anteil von rund 8% – an ihrem Arbeitsplatz unter Mobbing (engl. für anpöbeln, schikanieren) und dessen gesundheitlichen Folgen zu leiden. In Österreich wären das ca. 300.000 unselbständig Erwerbstätige. Der Schaden für die Betroffenen ist enorm: der gemobbte Arbeitnehmer läuft Gefahr die Situation an seinem Arbeitsplatz – und damit diesen selbst – nicht mehr ertragen zu können, der Arbeitgeber sieht sich nicht selten mit langen Krankenständen und Kuraufenthalten seines Mitarbeiters und im schlimmsten Fall mit einem berechtigten sofortigen Austritt und der Geltendmachung von beträchtlichen Schadenersatzansprüchen konfrontiert. Deutsche Studien kommen gar zu dem Ergebnis, dass Mobbing Ursache für 20% aller Selbstmorde in Deutschland ist.

Gerade die drohenden finanziellen Schäden für den Arbeitgeber (je nach beruflicher Stellung zwischen EUR 7.000 bis EUR 15.000), die im Falle eines verschuldeten Schadens des Arbeitnehmers eintreten können, sollten den Arbeitgeber dazu veranlassen, Mobbing in seinem Unternehmen gezielt entgegen zu wirken. Dazu kommt, dass das Problem des Arbeitgebers aus betrieblicher Sicht auch nach der Beendigung des Dienstverhältnisses mit dem Gemobbten bestehen bleibt, solange nicht auch die strukturellen Änderungen, die Mobbing am Arbeitsplatz verhindern, vorgenommen werden. Andernfalls droht früher oder später das nächste Mobbingopfer.

Ein richtungweisendes, jedoch noch nicht rechtskräftiges Urteil im Zusammenhang mit Mobbing am Arbeitsplatz harrt derzeit einer endgültigen Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof. Erstmals wurde einer Arbeitnehmerin, die durch Schikanen ihres Chefs seelische und körperliche Beschwerden erlitt, in zwei Instanzen ein Schmerzensgeld von 5.900 Euro zugesprochen. Ihr Chef setzte sie monatelang unter Druck, schikanierte sie und behandelte sie entwürdigend. Die Folgen für die gemobbte Arbeitnehmerin: Angstzustände, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden.

Was aber ist Mobbing? Konflikte und Streitigkeiten unter Arbeitskollegen oder Vorgesetzten sind alltäglich und fördern teilweise auch das Arbeitsergebnis durch Interessensabwägung und Kompromisse. Bei Mobbing handelt es sich jedoch um eine konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen, bei der der Betroffene von einer oder mehreren Personen systematisch und über einen längeren Zeitraum direkt oder indirekt angegriffen wird und die angegriffene Person früher oder später (hierarchisch oder aus anderen Gründen) unterlegen ist. Ziel dieser Angriffe kann die Aufgabe des Arbeitsplatzes sein oder auch nur deren (in Kauf genommene) Effekt. Grundsätzlich werden Angriffe am Arbeitsplatz erst zu Mobbing, wenn sie den Boden der sachlichen Diskussion verlassen und über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen. Als typische Mobbinghandlungen gelten unter anderem das Verweigern jeglichen Gesprächs oder wiederholte Verspottungen, das Zuteilen sinnloser Arbeiten, unberechtigte Kritik bis hin zu körperlichen Angriffen.

Bislang gibt es in Österreich kein eigenes Mobbinggesetz, der Rechtsschutz muss daher aus der Anwendung einzelner Normen verschiedener Gesetze auf konkrete Handlungen erfolgen. Mobbingangriffe können zu Strafverfahren gegen den Mobber führen, etwa bei Beleidigungen, Körperverletzungen, Datenklau oder Diebstahl. Ähnliches gilt für den zivilrechtlichen Bereich, bei dem der gemobbte Mitarbeiter auch das Mobbing am Arbeitsplatz konkret zu beweisen hat (was in der Praxis oft zu Schwierigkeiten führt, jedoch mit sogenannten Mobbingtagebüchern erleichtert werden kann). Der Arbeitgeber sieht sich erst dann mit einer Haftung für Schäden von gemobbten Mitarbeitern konfrontiert, wenn er vom Mobbing in seinem Unternehmen Kenntnis erlangt hat oder erlangen musste, es jedoch unterlassen hat, dagegen Maßnahmen zu ergreifen und Abhilfe zu schaffen. Die jedem Arbeitsverhältnis immanente Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitgeber bei der Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses auf die kulturellen, gesundheitlichen und sittlichen Interessen des Arbeitnehmers in zumutbarer Weise Rücksicht zu nehmen und die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass das Leben und die Gesundheit des Arbeitnehmers geschützt werden. Unter Juristen nennt man das die Verpflichtung zum Schutz der psychischen und physischen Integrität des Arbeitnehmers.

Kommt der Arbeitgeber seiner Fürsorgepflicht durch die Setzung geeigneter Maßnahmen wie Einzel- oder Vieraugengesprächen, Verwarnungen, Versetzungen oder gar der Kündigung des Mobbers nicht nach, treffen ihn dieselben zivilrechtlichen Folgen wie den Mobber selbst. Er haftet seinem im Stich gelassenen Mitarbeiter für den durch die rechtswidrigen Handlungen am Arbeitsplatz entstandenen Schaden. Vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Belastungen am Arbeitsplatz und der zunehmenden Zahl an psychischen Belastungen, empfiehlt es sich daher, in größeren Unternehmen eigene Anlaufstationen zur Bekämpfung von Mobbing am Arbeitsplatz einzurichten und diese mit arbeitspsychologischen Spezialisten zu verstärken.

Dr. Oliver Scherbaum

www.w-b-s.at

Foto: Walter J. Sieberer

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