Die neue Marktmissbrauchsregime

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Dr. Christian Temmel

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Im Jahr 2005 wurde in Österreich so wie in vielen anderen EU Mitgliedstaaten, die Europäische Marktmissbrauchs-Richtlinie vom Jänner 2003 umgesetzt. Mit dieser Richtlinie wurde nicht nur das Verbot der Marktmanipulation in neuer Weise ins BörseG umgesetzt, auch der Insiderstraftatbestand wurde neu gefasst. Der Begriff „Marktmissbrauch“ umfasst im Wesentlichen zwei Themen, nämlich Insiderhandel einerseits und Marktmanipulation andererseits.

Im Juni 2013 gab die Europäische Kommission bekannt, dass sich Kommission, Rat und Parlament grundsätzlich auf den Text für eine neue Marktmissbrauch-Verordnung geeinigt haben, die die bisherige Marktmissbrauchs-Richtlinie ersetzen und ergänzen soll. Nun beginnen die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament für die Durchführungs-Richtlinie. Aus derzeitiger Sicht soll die neue Marktmissbrauchs-VO gemeinsam mit der neuen Richtlinie im Jahr 2015 in Kraft treten, und dann wird sich vieles ändern.

Ziel der neuen Regelungen ist die weitere Harmonisierung und Stärkung des durch die Marktmissbrauchsrichtlinie 2003/6/EG geschaffenen Rahmens zur Gewährleistung der Marktintegrität und des Anlegerschutzes.

Eine der wichtigsten Neuerungen ist, dass neben geregelten Märkten auch neue Handelsplattformen (auch außerbörslicher Handel/OTC) und Technologien in den Anwendungsbereich aufgenommen und damit auch die Bekämpfung von Marktmissbrauch an Warenmärkten und entsprechenden Derivatemärkten verschärft werden sollen. Der Handel auf sämtlichen Plattformen und mit allen Finanzinstrumenten, die diese beeinflussen können, wird erfasst, auch der Handel mit Emissionszertifikaten. Dies ist insofern zu begrüßen, weil bisher multilaterale Handelssysteme, wie etwa der Dritte Markt der Wiener Börse, nicht dem börsegesetzlichen Verbot der Marktmanipulation unterlag. Gleichzeitig beinhaltet das BörseG derzeit eine Unsicherheit für Emittenten, deren Wertpapiere in den Dritten Markt einbezogen sind: einerseits gilt auch für Wertpapiere im Dritten Markt das Verbot des Insiderhandels, andererseits können und dürfen Dritt-Markt-Emittenten keine Ad-hoc Mitteilungen veröffentlichen, weil sie dadurch den Anschein einer Notierung in einem geregelten Markt erwecken würden. Dritt-Markt-Emittenten müssen derzeit also dafür sorgen, dass Insider-Informationen öffentlich bekannt werden, damit kein Insiderhandel erfolgen kann, gleichzeitig dürfen sie sich aber nicht des Instruments der Ad-hoc Mitteilung bedienen, sondern müssen diese Informationen auf andere Weise, etwa mittels Pressemitteilungen, bekannt machen.

Auch die Definitionen von Insider-Information und Marktmanipulation selbst sollen geändert werden, so dass auch bestimmte Strategien des Hochfrequenzhandels, wie zum Beispiel die Erteilung von Handelsaufträgen ohne Handelsabsicht zur Störung eines Handelssystems (sog „Quote Stuffing“), als verbotene Marktmanipulation gelten werden. Die EU-Kommission hatte sich in ihrem Verordnungsvorschlag ursprünglich für eine Erweiterung des Begriffs der Insider-Information durch Ausdehnung auf Vorfeldinformationen ausgesprochen, die nunmehr aber nicht zur Anwendung zu kommen scheint. diemaDer wesentliche Unterschied zur geltenden Definition der Insider-Information bestand darin, dass der neue Tatbestand nur noch verlangte, dass die Information von „einem verständigen Investor“ bei der Anlageentscheidung als „relevant“ betrachtet würde. Damit knüpfte der Ansatz an das RINGA-Konzept der Financial Services Authority im Vereinigten Königreich an, welches auf „relevant information not generally available“ (=RINGA) abstellt. Auch wenn der Verordnungsvorschlag bei der neuen Kategorie der Insider-Information light keine Pflicht für den Emittenten zur Ad-hoc-Publizität vorsah, hätte er jedenfalls eine ganz erhebliche Ausweitung des materiellen Insiderrechts bedeutet. Unabhängig davon hat der EuGH bereits im Fall „Geltl-Daimler“ festgestellt, dass auch bei einem Zwischenschritt, der einer Entscheidung eines börsenotierten Unternehmens vorausgeht, eine Insider-Information vorliegen kann.

Grundsätzlich soll auch der Versuch der Marktmanipulation nun ausdrücklich erfasst werden. Auch die Manipulation von Bezugsgrößen, wie etwa des LIBOR, die derzeit Gegenstand zahlreicher Untersuchungen ist, soll künftig explizit sanktioniert werden.

Gleichzeitig soll es aber auch Erleichterungen geben: Die Schwelle für die Meldung der Eigengeschäfte von Führungskräften wird EU-weit auf EUR 20.000 festgelegt, derzeit liegt sie in Österreich bei EUR 5.000 pro Jahr.

Wenn kleine und mittlere Emittenten bzw. ihre Finanzinstrumente zum Handel an KMU-Wachstumsmärkten zugelassen sind, sollen diese Emittenten kein Insiderverzeichnis erstellen müssen. Allerdings müssen sie der zuständigen Behörde auf Anfrage eine Liste der für sie tätigen Personen mit Zugang zu Insider-Informationen zur Verfügung stellen.

Außerdem sollen die Ermittlungs- und Sanktionsbefugnisse der Regulierungsbehörden und deren Zusammenarbeit (auch mit ESMA) verbessert werden. Regulierungsbehörden werden das Recht auf Zugang zu Datenverkehrsaufzeichnungen von Telekommunikationsgesellschaften haben und bei begründetem Verdacht auf Insider-Geschäfte oder Marktmanipulation Privaträume betreten dürfen, um dadurch auf Dokumente zugreifen zu können. Marktmanipulateure sollen mindestens das Doppelte des aus dem Marktmissbrauch resultierenden Gewinns als Strafe leisten müssen. Bei natürlichen Personen sollen Strafen bis zu EUR 5 Mio, bei juristischen Personen von bis zu 10% des jährlichen Gesamtumsatzes des Unternehmens im letzten Geschäftsjahr möglich sein. Der Richtlinienentwurf über strafrechtliche Sanktionen für Insider-Geschäfte und Marktmanipulationen folgt der Mitteilung der EU-Kommission von Dezember 2010 zur Stärkung der Sanktionsregelungen im Finanzdienstleistungssektor. Er enthält strafrechtliche Mindestvorschriften für vorsätzliche Insider-Geschäfte, die Weitergabe von Insider-Informationen, für vorsätzliche Marktmanipulationen sowie für Anstiftung, Beihilfe und Versuch. Dabei sind nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen erfasst. Diese waren in Österreich zwar auch schon durch das Verbandsverantwortlichkeits-Gesetz erfolgt, nunmehr soll dies in allen EU-Mitgliedstaaten einheitlich gelten.

Der Entwurf der Marktmissbrauchs-Richtlinien fordert auch, dass die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Strafhöhe sicherstellen, dass Straftaten auf wirksame, angemessene und abschreckende Weise strafrechtlich geahndet werden. Die Richtlinie soll nach vier Jahren evaluiert werden.

Beide Vorschläge werden dem EU-Parlament und dem Rat im Zusammenhang mit den Vorschlägen zur Überarbeitung der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (MiFID) beziehungsweise für eine Verordnung über Märkte für Finanzinstrumente zur Beratung übermittelt.

Da die Marktmissbrauchs-VO auch von der neuen Marktmissbrauchs-RL begleitet werden wird, und sich auch zahlreiche Verweise in der Marktmissbrauchs-VO auf die MiFiD II beziehen, wird die Marktmissbrauchs-VO nicht vor MiFiD II in Kraft treten. Allgemein wird damit im Jahr 2015 gerechnet.
Wir werden sehen, ob das Europäische Parlament den vorliegenden Vorschlag unverändert aufgreifen wird, oder ob im Zuge der kommenden Beratungen weitere Änderungen in die Verordnung eingehen werden.

Eines ist jedoch schon jetzt klar: die europäischen kapitalmarktrechtlichen Vorgaben werden zunehmend strenger werden, und Marktmanipulateure und Insider-Händler werden sich künftig sicher wärmer anziehen müssen.

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Foto: beigestellt

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